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Albanien

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Albanien

ALBANIEN ist ein kleines Land mit einer langen, wechselvollen Geschichte. Stämme und Völker haben es auf ihren Wanderungen durchzogen. Es war Spielball von Weltmächten und kapselte sich jahrzehntelang ab. Die dort lebenden Zeugen Jehovas mussten mit zahllosen Schwierigkeiten und großen Härten fertig werden, doch Jehova Gott war stets mit ihnen und hat sie mit bemerkenswerter geistiger Wohlfahrt gesegnet. Die folgenden Seiten enthalten einen Abriss ihrer fesselnden Geschichte und zeigen, wie die „Hand Jehovas“ diese demütigen Diener Gottes unterstützt hat (Apg. 11:21).

Jahrhundertelang kämpften fremde Mächte um die Vorherrschaft in Albanien. Dadurch trugen sie auch religiöse Konflikte in das Land hinein. Anfang des 16. Jahrhunderts war die Region religiös zersplittert: Es gab muslimische, orthodoxe und katholische Bevölkerungsteile.

Im späten 19. Jahrhundert trat der albanische Nationalismus immer stärker in Erscheinung. Es entstanden patriotische Vereinigungen. Die meisten Albaner waren Kleinbauern. Viele gaben der langen Fremdherrschaft die Schuld für ihre Armut. Um 1900 waren Autonomie und Unabhängigkeit brennende Fragen. Sie führten letztlich zu Kriegen mit Griechenland, Serbien und der Türkei. 1912 erklärte sich Albanien schließlich für unabhängig.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Staatspolitik darauf ausgerichtet, organisierter Religionsausübung ein Ende zu machen. Die kommunistische Regierung schaffte Religion ab und erklärte Albanien zum ersten atheistischen Staat der Welt.

„ALBANER ERGREIFEN DIE WAHRHEIT MIT GROSSER FREUDE“

Wie der Apostel Paulus vor dem Jahr 56 u. Z. berichtete, hatten er und seine Gefährten die gute Botschaft „bis nach Illyrien hin“ gepredigt. Illyrien war eine römische Provinz, zu der auch ein Teil des heutigen Albanien gehörte (Röm. 15:19). Höchstwahrscheinlich nahmen damals einige aus dieser Region den christlichen Glauben an, denn gemäß der weltlichen Geschichtsschreibung soll das Christentum im 1. Jahrhundert in Albanien Fuß gefasst haben.

Der erste Bericht aus neuerer Zeit, der den wahren Glauben in jenem Gebiet betraf, stammt aus dem Jahr 1921. Damals schickte John Bosdogiannis aus Kreta einen Bericht über seinen Besuch der „Bibelstudienklasse“ in Ioannina (Nordgriechenland) an das Bethel in Brooklyn. Etwa zur gleichen Zeit siedelten sich in den Vereinigten Staaten, und zwar in Neuengland, viele albanische Einwanderer an, darunter Thanas (Nasho) Idrizi und Costa Mitchell. Beide lernten dort die Wahrheit kennen und ließen sich unverzüglich taufen. Bruder Idrizi ging 1922 nach Gjirokastër — der erste Albaner, der mit der biblischen Wahrheit in sein Heimatland zurückkehrte. Jehova segnete seine Opferbereitschaft und einige Personen reagierten positiv. Ihm folgten bald weitere Albaner aus Amerika, die zum Glauben gekommen waren. Costa Mitchell predigte währenddessen im albanischen Gebiet in Boston (Massachusetts).

Sokrat und Thanas Duli (Athan Doulis) waren in Albanien geboren, aber in der Türkei aufgewachsen. Sokrat kehrte 1922 nach Albanien zurück. Im Jahr darauf machte sich der 14-jährige Thanas auf die Suche nach seinem Bruder. Er schrieb: „Als ich in der alten Heimat ankam, fand ich meinen Bruder nicht zu Hause, denn er arbeitete etwa 200 Kilometer weiter weg. Ich fand aber die Zeitschrift Der Wachtturm, die Bibel, sieben Bände der Schriftstudien und verschiedene Broschüren über biblische Themen. ... Selbst in dieser abgelegenen Berggegend gab es einige Bibelforscher ... Sie waren in Amerika gewesen und hatten dort die Bibel kennen- und lieben gelernt.“ Als die beiden schließlich zusammentrafen, war Sokrat ein getaufter Bibelforscher und er verlor keine Zeit, seinem Bruder Thanas die Wahrheit näherzubringen.

1924 wurde dem rumänischen Büro die Aufsicht über das neue Gebiet in Albanien übertragen. Gepredigt wurde zwar in bescheidenem Umfang, aber im Wacht-Turm vom 15. Dezember 1925 hieß es: „Die Harfe Gottes sowie die Broschüren Eine wünschenswerte Regierung und Die Welt in Not wurden übersetzt und in der Sprache der Einheimischen gedruckt, eine ziemlich große Zahl in die Hände des Volkes gelegt, und die Albaner ergreifen die Wahrheit mit großer Freude.“

Damals wurde Albanien von politischen Krisen erschüttert. Wie erging es Jehovas Dienern? „1925 gab es in Albanien drei organisierte Versammlungen und verschiedene einzelne Bibelforscher“, schrieb Thanas. Wie er außerdem feststellte, stand die Liebe, die sie untereinander hatten, in krassem Gegensatz zu dem Streit, dem Egoismus und dem Konkurrenzgeist der Menschen um sie herum. Während viele Albaner auswanderten, kehrten andere zurück, weil sie die Wahrheit kennengelernt hatten und ihre Verwandten unbedingt davon unterrichten wollten, dass Christi Königreich bereits aufgerichtet war.

Zu jener Zeit wurden in Boston sonntagvormittags vor etwa 60 Zuhörern Vorträge in Albanisch gehalten. Die Anwesenden waren ernste Erforscher der Bibel, die sich eingehend mit den Schriftstudien befassten. Ebenso gründlich studierten sie das Buch Die Harfe Gottes, obwohl es einige Übersetzungsfehler enthielt. (Der Titel wurde zum Beispiel ursprünglich mit Die Gitarre Gottes wiedergegeben.) Trotzdem half dieses Buch vielen Albanern, die biblische Wahrheit kennenzulernen und einen starken Glauben zu erlangen.

„LASSEN SIE SIE IN FRIEDEN!“

Gemäß dem Wacht-Turm besuchten 1926 in Albanien 13 Personen die Feier zum Gedenken an den Tod Christi. „In Albanien sind nur ungefähr fünfzehn geweihte Brüder, und diese tun ihr Bestes, die Botschaft vom Königreich zu verkündigen“, hieß es im Jahrbuch für 1927. Weiter wurde gesagt: „In Amerika haben wir etwa dreißig geweihte albanische Brüder, und diese sind sehr bemüht, ihren Landsleuten zu einer Erkenntnis der Wahrheit zu verhelfen.“ Die 15 Brüder in Albanien konnten sich 1927 über 27 Anwesende beim Gedächtnismahl freuen — mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr.

Ende der 1920er-Jahre herrschten in Albanien weiterhin unruhige politische Verhältnisse. Für kurze Zeit war eine Regierung unter der Führung von Fan Noli, einem orthodoxen Bischof, an der Macht. Sie wurde jedoch gestürzt. Ahmed Bey Zogu war der nächste Ministerpräsident. Er proklamierte das Königreich Albanien, in dem er als König Zog I. das Sagen hatte.

1928 reisten Lazar Nasson, Petro Stavro und zwei andere Brüder von den Vereinigten Staaten nach Albanien, um das „Photo-Drama der Schöpfung“ vorzuführen. Gleichzeitig besuchten ein katholischer und ein orthodoxer Priester aus den USA König Zog I.

„Sehen Sie sich vor!“, warnte der katholische Geistliche König Zog. „Aus Amerika sind Leute gekommen, die Ihnen Schwierigkeiten machen wollen.“

Der orthodoxe Priester widersprach ihm jedoch. Er kannte die Brüder, weil sie vor nicht allzu langer Zeit aus seiner Kirche in Boston ausgetreten waren. „Gäbe es hier in Albanien nur solche Menschen, bräuchten Sie Ihre Palasttore nicht abzuschließen“, erklärte er dem König.

Daraufhin Zog: „Dann lassen Sie sie in Frieden. Machen Sie ihnen keine Schwierigkeiten!“

Im selben Jahr wurde in Boston das Liederbuch Gesänge zum Preise Jehovas in Albanisch gedruckt. Auch in Albanien lernten die Brüder schließlich die Melodien und Texte. „Fürchte dich nicht, kleine Herde“ und „An das Werk!“ waren zwei beliebte Lieder, die sie in den vor ihnen liegenden schwierigen Jahren stützen sollten.

Albaner nehmen im Allgemeinen kein Blatt vor den Mund und schätzen offene Worte. Was anderswo wie ein Streitgespräch klingen würde, ist hier oft eine normale angeregte Unterhaltung. Albaner, denen etwas Bestimmtes am Herzen liegt, reden nicht nur gern darüber, sondern handeln auch meist mit entsprechender Überzeugung. Diese Charakterzüge beeinflussen gewiss auch ihre Reaktion auf die gute Botschaft.

GUTE ERGEBNISSE TROTZ WIDERSTAND

Die zunehmenden politischen und wirtschaftlichen Probleme veranlassten weitere Albaner, das Land zu verlassen. Einige von ihnen lernten in Neuengland und New York die Wahrheit kennen. Überall dort, wo sich Albaner in größerer Zahl ansiedelten, kamen auch viele in die Wahrheit. Die Brüder wünschten sich mehr Publikationen in ihrer Sprache und freuten sich daher, als die Broschüren Das Königreich — die Hoffnung der Welt und Die Krise in Albanisch erhältlich waren.

Zu jener Zeit beschlagnahmten die Behörden in Albanien einen Teil unserer Veröffentlichungen. Doch 1934 berichtete das Bulletin (heute Unser Königreichsdienst) aus Albanien: „Voller Freude teilen wir euch mit, dass der Justizminister für alle Provinzen eine Anordnung erließ, wonach unsere Literatur ab sofort ungehindert verbreitet werden darf ... Sämtliche Bücher und Broschüren, die von den verschiedenen Präfekturen beschlagnahmt wurden, hat man den Brüdern zurückgegeben ... Sieben Brüder haben jetzt ein Automobil gemietet ... [und] bearbeiten die entfernteren Städte mit den Büchern, während die übrigen in den nahe gelegenen Orten tätig sind.“ Das Ergebnis? 1935 und 1936 wurden über 6 500 Veröffentlichungen abgegeben.

„DIE WOHL AM WEITESTEN AUSGESTRAHLTE RADIOSENDUNG DER GESCHICHTE“

„Die wohl am weitesten ausgestrahlte Radiosendung der Geschichte geplant“, kündigte die in Leeds (England) erscheinende Zeitung Mercury Anfang 1936 an. „Der Anlass ist eine Rede, die Richter Rutherford, der Prediger, in Los Angeles halten wird.“ J. F. Rutherford war damals mit der allgemeinen Aufsicht über das Werk der Zeugen Jehovas betraut. Sein Vortrag sollte über Standleitungen in die gesamten Vereinigten Staaten und nach Großbritannien übertragen werden. Dort wären dann andere europäische Länder angeschlossen. Der Zeitungsartikel schloss mit den Worten: „In e i n e m europäischen Land wird die Rede bestimmt nicht zu hören sein, nämlich in Albanien, wo kein Telefondienst existiert.“

Aber einige Wochen nach dem Vortrag schrieb Nicholas Christo aus der albanischen Versammlung in Boston an das Hauptbüro: „Wir möchten euch mitteilen, dass Richter Rutherfords Rede über die ‚Scheidung der Nationen‘ auch in Albanien gehört wurde, wie wir kürzlich von dort erfuhren. Damit kommt zu der langen Liste der Länder, wo man sie hören konnte, ein weiteres Land hinzu. Die Rede wurde an zwei Orten empfangen ..., wahrscheinlich über Kurzwelle. ... Die Brüder waren ganz aus dem Häuschen, Richter Rutherfords Stimme zu hören.“

Wie führten die albanischen Verkündiger eigentlich ihre Zusammenkünfte durch, bevor es den Wachtturm in Albanisch gab? Die meisten, die die Wahrheit annahmen, hatten in Südalbanien griechische Schulen besucht. Sie konnten ohne Weiteres den griechischen Wachtturm studieren. Andere nahmen dafür die italienische oder französische Ausgabe. Da die Zusammenkünfte in Albanisch abgehalten wurden, übersetzten die Brüder den Stoff aus dem Stegreif.

In Boston wurde das albanische Wachtturm-Studium am Montagabend ebenfalls anhand der griechischen Ausgabe durchgeführt. Was war mit den Kindern, die nicht so gut Griechisch konnten? Die Brüder sorgten bestimmt für eine gute Schulung. Es kam nicht von ungefähr, dass ihre Söhne und Töchter, Nichten und Neffen, Enkel und Urenkel später den Vollzeitdienst aufnahmen. Die albanischen Brüder waren für ihr fleißiges Zeugnisgeben so bekannt, dass die Leute sie als ungjillorë (Evangeliumsverkündiger) bezeichneten.

PROMINENTEN ZEUGNIS GEGEBEN

1938, ein Jahr bevor König Zog gestürzt wurde, reisten zwei seiner Schwestern nach Boston. Die Zeitschrift Consolation berichtete in ihrer Dezember-Ausgabe: „Als die albanischen Prinzessinnen nach Boston kamen, gingen zwei Zeugen Jehovas aus der albanischen Gruppe der Versammlung Boston in ihr Hotel und sprachen mit ihnen über die Botschaft von Gottes Königreich. Sie wurden sehr freundlich empfangen.“

Bei den beiden Zeugen handelte es sich um Nicholas Christo und seine Schwester Lina. Sie trafen nicht nur die Prinzessinnen an, sondern auch fünf weitere prominente Persönlichkeiten, darunter den damaligen albanischen Botschafter in den USA, Faik Konitza (Konica). Vor dem Gespräch wurde den Versammelten eine albanische Zeugniskarte vorgelesen, aus der hervorging, in welchem Umfang die Wahrheit unter den Albanern gepredigt wurde. Auf der Karte hieß es unter anderem: „Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass diese Botschaft seit vielen Jahren auch in Albanien verkündigt wird. Zehntausende von Büchern wurden in die Hände von albanischen Staatsvertretern und Bürgern gelegt, um sie zu erleuchten und zu trösten.“

Botschafter Konitza erklärte den Prinzessinnen, was ihre Besucher auf dem Herzen hatten: „Sie bitten Sie, durch Ihren Einfluss darauf hinzuwirken, dass in Albanien ungehindert gepredigt werden darf. ... Sie vertreten einen ‚neuen‘ Glauben, wonach die Welt bald enden und dann Christus herrschen wird. Schließlich werden sogar die Toten auferstehen.“

Wieso wusste Herr Konitza so gut über die Königreichsbotschaft Bescheid? In der Zeitschrift Consolation hieß es dazu: „Ein Zeuge Jehovas, der ihn schon lange gut kannte, bevor er in die Wahrheit kam, ... hatte mehrmals Gelegenheit, mit ihm darüber zu sprechen.“

DIE SCHWIERIGE ZEIT DES 2. WELTKRIEGS

In den 1930er-Jahren gewann Italien zunehmend Einfluss auf Albanien. Als das italienische Militär 1939 das Land besetzte, ging König Zog mit seiner Familie ins Exil. Die faschistischen Invasoren verboten unsere Literatur und erklärten die Predigttätigkeit der 50 Verkündiger für ungesetzlich. Im Sommer 1940 wurden etwa 15 000 Veröffentlichungen beschlagnahmt. Am 6. August nahmen die Faschisten in Këlcyrë 9 unserer Brüder fest und pferchten sie in eine 2 mal 4 Meter große Zelle. Später brachte man sie in ein Gefängnis nach Tirana. Sie wurden ohne Verhandlung 8 Monate lang festgehalten und dann zu Strafen zwischen 10 Monaten und 2 1⁄2 Jahren verurteilt.

Damals war es üblich, Gefangene von ihren Angehörigen mit Nahrungsmitteln versorgen zu lassen. Doch in diesem Fall befanden sich die Ernährer der Familie ja selbst im Gefängnis. Wie würden sie für sich sorgen?

Bruder Nasho Dori erinnert sich: „Wir erhielten 800 Gramm trockenes Brot, 3 Kilogramm Kohlen und alle 15 Tage ein Stück Seife. Jani Komino und ich kauften mit unserem Geld 2 Pfund Bohnen. Auf den Kohlen kochten wir die Bohnen, die die anderen Gefangenen uns dann löffelweise abkauften. Dank dieser Einnahmen kochten wir schon bald 5 große Töpfe mit Bohnen gleichzeitig. Schließlich konnten wir uns sogar etwas Fleisch leisten.“

Im Winter 1940/41 drang die griechische Armee nach Südalbanien vor und zwang die dort lebenden Männer, sich ihr anzuschließen. In einem Dorf lehnte ein Bruder dies ab und erklärte sich für neutral. Daraufhin rissen ihn die Soldaten an den Haaren und schlugen ihn bis zur Bewusstlosigkeit.

Als der Bruder das Bewusstsein wiedererlangte, brüllte der kommandierende Offizier: „Verweigerst du immer noch den Gehorsam?“

„Ich bin immer noch neutral“, entgegnete der Bruder.

Die Soldaten resignierten und ließen ihn gehen.

Einige Tage später kam der Offizier zu dem Bruder, den er hatte quälen lassen, und lobte ihn für seinen Mut. „Vor ein paar Tagen habe ich 12 Italiener getötet und dafür einen Orden bekommen“, sagte er. „Aber mich plagt das Gewissen und ich schäme mich, den Orden zu tragen. Ich habe ihn in die Tasche gesteckt, weil ich weiß, dass er eigentlich ein Zeichen für verbrecherisches Treiben ist.“

NEUE MACHTHABER — DIE PROBLEME BLEIBEN

In den Kriegswirren gelang es den albanischen Kommunisten, immer fester Fuß zu fassen — trotz der Bemühungen der Faschisten, alles unter Kontrolle zu halten. 1943 nahmen Soldaten, die gegen die Kommunisten kämpften, einen Bruder gefangen, stießen ihn auf einen Wagen und fuhren mit ihm an die Front, wo sie ihm ein Gewehr in die Hand drücken wollten. Er nahm es nicht an.

„Du bist ein Kommunist!“, schrie der Anführer. „Wärst du ein Christ, würdest du kämpfen wie die Priester.“

Dann befahl der Offizier den Soldaten, den Bruder hinzurichten. Das Erschießungskommando war schon feuerbereit, da kam ein anderer Offizier vorbei und fragte, was vor sich gehe. Als er von der neutralen Haltung des Bruders erfuhr, gab er den Gegenbefehl: „Nicht schießen!“ Der Bruder wurde freigelassen.

Im September 1943 zogen sich die Faschisten zurück und deutsche Truppen rückten nach. In nur einer Nacht töteten diese in Tirana 84 Menschen. Hunderte wurden in Konzentrationslager gebracht. In dieser Zeit tippten die Brüder auf der Schreibmaschine biblische Botschaften voller Hoffnung und Ermunterung. Wenn jemand eine solche Botschaft gelesen hatte, sollte er sie zurückgeben, damit sie jemand anders erhalten konnte. Später benutzten die Brüder beim Predigen die wenigen Broschüren, die sie versteckt hatten. Und schließlich predigten sie nur noch anhand der Bibelteile, die ihnen verblieben waren. Erst Mitte der 1990er-Jahre erhielten sie wieder vollständige Bibeln.

Bis 1945 waren 15 Brüder im Gefängnis gewesen. Zwei von ihnen hatte man ins Konzentrationslager geschickt, wo der eine zu Tode gefoltert wurde. Paradoxerweise verfolgte man die Brüder in Albanien, weil sie die Achsenmächte nicht unterstützten, während albanischstämmige Brüder in den USA eingesperrt wurden, weil sie sich weigerten, gegen die Achsenmächte zu kämpfen.

Während des Krieges befand sich die in Albanien beschlagnahmte Literatur in einem Zolllagerhaus. Bei einem Gefecht in unmittelbarer Nähe stürzte das Gebäude ein. Dabei flog viel von unserer Literatur auf die Straße. Neugierige Passanten sammelten Bücher und Broschüren auf und lasen darin. Die Brüder verloren keine Zeit, sich die übrige Literatur zu holen.

1944 zogen sich die deutschen Truppen aus Albanien zurück und die kommunistische Armee setzte eine provisorische Regierung ein. Unverzüglich beantragten die Brüder, Broschüren nachdrucken zu dürfen. Das wurde jedoch abgelehnt. „Der Wachtturm greift die Geistlichkeit an“, sagte man den Brüdern, „aber hier in Albanien gelten Geistliche immer noch etwas.“

NACH KRIEGSENDE GEHT DIE VERFOLGUNG WEITER

Die neue kommunistische Regierung setzte hohe Steuern fest, verstaatlichte Ländereien und Eigentum und stellte Fabriken, Handwerksbetriebe, Geschäfte und Kinos unter staatliche Kontrolle. Niemand durfte mehr Land kaufen, verkaufen oder pachten. Und die landwirtschaftliche Produktion musste weitgehend an den Staat abgeliefert werden. Am 11. Januar 1946 wurde die Volksrepublik Albanien ausgerufen. Da die Kommunistische Partei die Wahlen gewonnen hatte, stellte sie die Regierung mit Enver Hoxha als Staatsoberhaupt.

Mehr Schulen entstanden, wo die Kinder lesen lernten. Allerdings ließ die Regierung nur Lesestoff zu, der den Kommunismus befürwortete. Unsere Veröffentlichungen wurden beschlagnahmt, ebenso der kleine Papiervorrat und die wenigen Schreibmaschinen der Brüder.

Wiederholt versuchten die Brüder, eine Genehmigung zur Veröffentlichung von Literatur zu erhalten. Jedes Mal erteilte man ihnen eine Abfuhr und bedrohte sie massiv. Doch sie ließen sich nicht einschüchtern. Sie sagten zu den Behördenvertretern: „Jehova hat uns die Verantwortung übertragen, dem albanischen Volk mitzuteilen, was er vorgesehen hat, aber Sie hindern uns daran. Dafür tragen Sie die Verantwortung.“

Die Regierung sagte sich wahrscheinlich: „Hier in Albanien sind wir die Herren! Theokratie lassen wir nicht zu, und für euren Gott Jehova, den wir sowieso nicht anerkennen, haben wir nichts übrig.“ Die Brüder sprachen jedoch unerschrocken bei jeder sich bietenden Gelegenheit über die gute Botschaft.

1946 wurde die Wahlpflicht eingeführt. Jeder Nichtwähler galt als Staatsfeind. Gesetze wurden verabschiedet, die das Zusammenkommen untersagten, und es war strafbar, zu predigen. Wie reagierten die Brüder darauf?

Die etwa 15 Brüder in Tirana organisierten 1947 eine Predigtaktion. Sie wurden sofort verhaftet. Man zerriss ihre Bibeln und sie selbst wurden gefoltert. Zwar kamen sie wieder frei, durften aber ohne polizeiliche Erlaubnis nirgendwo hinreisen. In den Zeitungen wurden Jesus und Jehova verspottet.

Die albanischen Brüder in Boston erfuhren davon und schrieben am 22. März 1947 an Enver Hoxha einen respektvollen zweiseitigen Brief, in dem sie sich für Jehovas Zeugen in Albanien einsetzten. Sie erklärten, dass diese keine Bedrohung für die Regierung darstellten. Wie sie weiter ausführten, hatten religiöse Gegner Falschanklagen erhoben, weil ihr unchristliches Handeln in unseren Publikationen bloßgestellt wird. Zum Schluss des Briefes hieß es: „Als die albanische Delegation bei den Vereinten Nationen unter der Leitung von Herrn Kapo nach Boston kam, suchten wir ihn in seinem Hotel auf. Herr Kapo empfing uns freundlich und hörte sich unsere Botschaft unvoreingenommen an.“ Hysni Kapo war jahrelang einer der höchstrangigen Regierungsvertreter Albaniens. Trotz dieses Appells bekamen unsere Brüder dort immer mehr Probleme.

1947 verbündete sich Albanien mit der Sowjetunion und Jugoslawien. Mit Griechenland kam es zu Auseinandersetzungen. Im folgenden Jahr brach Albanien mit Jugoslawien und band sich noch enger an die Sowjetunion. Wer die Ideologie der Regierung nicht unterstützte, wurde verbannt. Die neutrale Haltung der Brüder löste zunehmend Feindseligkeiten aus.

Ein Beispiel: 1948 versammelten sich in einem kleinen Dorf sechs Brüder und Schwestern zur Feier des Gedächtnismahls. Die Polizei platzte in diese Zusammenkunft hinein und schlug die Verkündiger stundenlang, ehe man sie gehen ließ. Einige Wochen später nahm die Polizei den Bruder fest, der die Gedächtnismahlansprache gehalten hatte, und zwang ihn, 12 Stunden lang zu stehen. Um Mitternacht schrie der Polizeichef ihn an: „Warum habt ihr das Gesetz gebrochen?“

„Wir dürfen das Gesetz des Staates nicht über das Gebot unseres Herrn stellen“, antwortete der Bruder.

Wutentbrannt gab der Polizist ihm eine Ohrfeige. Als er seinen Kopf drehte, fragte der Polizist: „Was soll denn das?“

„Ich sagte ja schon, dass wir Christen sind“, entgegnete der Bruder. „Jesus lehrte uns, auch die andere Wange hinzuhalten.“

„Soso, das gebietet euer Herr?“, knurrte der wütende Polizist. „Dem gehorche ich jedenfalls nicht. Von mir bekommst du keine Ohrfeige mehr. Verschwinde!“

„ICH PREDIGE WEITER“

Sotir Ceqi aus Tirana war ein gottesfürchtiges Mitglied der orthodoxen Kirche. Wegen einer Knochentuberkulose in der Kindheit litt er unter furchtbaren Schmerzen in den Beinen. Mit 17 Jahren war er so depressiv, dass er sich vor einen Zug werfen wollte. Kurz bevor es dazu kam, besuchte ihn Leonidha Pope, einer seiner Verwandten. Ohne zu wissen, was Sotir vorhatte, erzählte Leonidha ihm von Jesus, der alle Krankheiten heilte, und dass die Erde einmal ein Paradies wird. Er gab Sotir auch eine Ausgabe der Griechischen Schriften, die er sofort zu lesen begann.

„Was ich las, war für mich wie belebendes Wasser“, sagte Sotir. „Ich hatte die Wahrheit gefunden!“

Bereits nach einigen Tagen, in denen er keinen Kontakt mit Leonidha hatte, sagte sich Soti: „Wie die Bibel zeigt, hat Jesus gepredigt. Die Apostel und die anderen Jünger haben es ebenfalls getan. Dann muss ich das auch.“

Sotir machte sich also auf und predigte. Mit den Griechischen Schriften in der einen Hand und seiner Krücke in der anderen ging er mutig von Tür zu Tür.

In jenen Jahren war die Sigurimi (Direktion für Staatssicherheit) für den Staatsschutz verantwortlich. Sie war ständig darauf bedacht, jede Gefahr für den Kommunismus abzuwehren. Sotirs unerschrockenes Predigen konnte ihr daher kaum entgehen. Beamte verhafteten ihn, hielten ihn stundenlang fest, schlugen ihn und verboten ihm, zu predigen.

Wieder auf freiem Fuß setzte sich Sotir sofort mit Leonidha in Verbindung, der ihn zu Spiro Karajani brachte, einem Arzt, der die Wahrheit einige Jahre zuvor kennengelernt hatte. Spiro behandelte ihn nicht nur, sondern half ihm auch, die Wahrheit besser zu verstehen.

Spiro riet Sotir: „Solltest du wieder festgenommen werden, zähl jedes Wort, bevor du etwas unterschreibst. Mach am Ende jeder Zeile einen Strich. Lass keinen Platz frei. Lies alles sorgfältig durch. Vergewissere dich, dass du nur unterschreibst, was du wirklich gesagt hast.“

Schon zwei Tage später nahm die Polizei Sotir wieder beim Predigen fest. Auf der Wache forderten die Beamten ihn auf, seine Aussage zu unterschreiben. Er wollte gerade ansetzen, als ihm Spiros Rat einfiel. Obwohl ihn die Polizisten zur Unterschrift drängten, nahm sich Sotir die Zeit, jedes Wort zu lesen.

„Tut mir leid“, sagte er, „das kann ich nicht unterschreiben. Das habe ich nicht gesagt. Würde ich unterschreiben, würde ich lügen, und das kann ich nicht.“

Daraufhin machten die Polizisten aus einem Strick eine Peitsche und traktierten Sotir mehrere Stunden lang. Da er immer noch nicht nachgab, zwangen sie ihn, zwei Drähte festzuhalten, und quälten ihn immer wieder mit Elektroschocks.

„Als ich die Schmerzen kaum noch ertragen konnte, betete ich unter Tränen“, erzählte Sotir. „Plötzlich ging die Tür auf und der Polizeichef kam herein. Er sah sofort, was los war, wandte sich ab und befahl: ‚Aufhören! Das dürft ihr nicht!‘ “ Sie wussten genau, dass Folter gegen das Gesetz verstieß. Die Polizisten hörten damit zwar auf, wollten Sotir aber immer noch zwingen, das Schriftstück zu unterschreiben. Doch er blieb bei seiner Weigerung.

Schließlich sagten sie: „Du hast gewonnen!“ Widerwillig schrieben sie Sotirs eigentliche Aussage auf, in der er ausführlich Zeugnis gab. Sie reichten ihm das Schriftstück. Ungeachtet dessen, dass Sotir stundenlang geschlagen und gequält worden war, las er sorgfältig jedes Wort. Als er auf einen Satz stieß, der nur die halbe Zeile ausfüllte, zog er einen Strich bis zum Rand des Blattes.

„Wer hat dir das denn beigebracht?“, wollten die erstaunten Polizisten wissen.

„Jehova hat mich gelehrt, nichts zu unterschreiben, was ich nicht gesagt habe“, erklärte Sotir.

„Ach ja, und von wem hast du das hier?“, fragte ein Polizist, als er Sotir Brot und ein Stück Käse gab. Inzwischen war es 21 Uhr und weil Sotir den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte, knurrte ihm der Magen. „Von Jehova? Von wegen! Das ist von uns.“

„Jehova kann auf verschiedenste Weise für einen sorgen“, entgegnete Sotir. „Er hat einfach euer Herz erweicht.“

„Wir lassen dich laufen“, sagten die frustrierten Beamten, „aber wehe, wenn du wieder predigst! Du weißt schon, was dir in diesem Fall blüht.“

„Dann könnt ihr mich gleich hier behalten, denn ich predige weiter.“

„Es wäre besser für dich, niemand zu erzählen, was hier passiert ist“, drohte einer der Beamten.

Darauf Sotir: „Ich kann doch nicht lügen, wenn man mich fragt.“

„Verschwinde!“, brüllte der Polizist.

Sotir war nur einer von vielen, die gefoltert wurden. Als sein Glaube so erprobt wurde, war er noch gar nicht getauft. Dazu hatte er erst später Gelegenheit.

Jahrelang wurde der Briefverkehr zensiert und nur bruchstückhafte Berichte gelangten aus Albanien hinaus. Als es immer riskanter wurde, zu reisen und Zusammenkünfte abzuhalten, verloren die Brüder im Land allmählich den Kontakt zueinander. Ohne richtige Leitung war es schwierig, sich ein Bild vom tatsächlichen Geschehen zu machen. Jedenfalls nahmen immer mehr Personen die Wahrheit an. 1940 gab es in Albanien 50 Brüder und Schwestern, 1949 waren es schon 71.

WACHSTUM TROTZ POLITISCHER SPANNUNGEN

In den 1950er-Jahren wurden die Kontrollen, die praktisch alle Lebensbereiche betrafen, noch verschärft. Die Spannungen zwischen Albanien und Griechenland nahmen zu. Diplomatische Beziehungen zu England und den USA gab es nicht. Selbst das Verhältnis zur Sowjetunion war gespannt. Albanien zog sich in ein isolationistisches Schneckenhaus zurück und überwachte streng jegliche Kommunikation mit der Außenwelt.

Immerhin gelang es zwei Brüdern mit wechselndem Erfolg, Briefe und Postkarten an Brüder in der Schweiz zu schicken. Die Antworten auf Französisch oder Italienisch enthielten verschlüsselte Informationen. Durch diesen Briefverkehr erfuhren sie von dem Kongress, der 1955 in Nürnberg stattfand. Die Berichte über die Freiheit der deutschen Brüder nach dem Ende des Hitler-Regimes ermunterten die albanischen Brüder, ebenfalls standhaft im Glauben zu bleiben.

1957 berichteten in Albanien 75 Verkündiger über ihren Dienst. Wie viele das Gedächtnismahl besuchten, ließ sich zwar nicht genau feststellen, aber das englische Jahrbuch 1958 sprach von einer „ziemlich hohen Zahl“ und erwähnte: „Die albanischen Brüder predigen weiter.“

Im englischen Jahrbuch 1959 stand: „Die treuen Zeugen Jehovas tun, was sie können. Sie haben offen mit anderen über die Wahrheit gesprochen und sogar versucht, einiges zu veröffentlichen. Sehr dankbar sind sie für die Speise zur rechten Zeit, die sie gelegentlich erreicht. Aber die kommunistischen Herrscher unterbinden offensichtlich jeden Kontakt zur Außenwelt.“ Abschließend hieß es: „Die Staatsführung kann die Brüder in Albanien zwar von der übrigen Neuen-Welt-Gesellschaft isolieren, doch sie kann nicht verhindern, dass Gottes heiliger Geist auf die Brüder einwirkt.“

WEITERE ANSTRENGUNGEN

Damals wurde von jedem verlangt, immer einen Militärausweis bei sich zu haben. Wer sich weigerte, verlor seine Arbeit oder wurde eingesperrt. Deshalb kamen Nasho Dori und Jani Komino wieder für einige Monate ins Gefängnis. Einige fürchteten um ihren Arbeitsplatz und machten Zugeständnisse. Aber ein fester Kern treuer Brüder feierte 1959 das Gedächtnismahl, und viele Brüder und Schwestern predigten furchtlos weiter.

1959 wurde das Justizministerium aufgelöst und Anwälte durften nicht mehr praktizieren. Gesetze wurden von der Kommunistischen Partei erlassen und durchgesetzt. Nichtwähler galten als Staatsfeinde. Überall herrschte Furcht und Misstrauen.

Aus den Mitteilungen der albanischen Brüder ging hervor, wie schwierig die Lage war, aber auch ihre Entschlossenheit, treu zu bleiben. Unterdessen war das Hauptbüro in Brooklyn bemüht, mit den Brüdern in Verbindung zu treten. John Marks, der in Südalbanien geboren, aber in die USA ausgewandert war, wurde gebeten, ein Visum für Albanien zu beantragen.

Es dauerte eineinhalb Jahre, bis John sein Visum erhielt. Der Antrag seiner Frau Helen wurde abgelehnt. Im Februar 1961 reiste John über Durrës nach Tirana. Dort traf er sich mit seiner Schwester Melpo, die Interesse an der Wahrheit hatte. Mit ihrer Hilfe stellte John bereits am nächsten Tag Kontakt zu den Brüdern her.

John unterhielt sich ausführlich mit ihnen und verteilte die Literatur, die er in einem Geheimfach seines Koffers versteckt hatte. Die Brüder waren überglücklich. Zum ersten Mal seit 24 Jahren besuchte sie wieder ein Glaubensbruder aus dem Ausland.

Nach Johns Einschätzung gab es in fünf Städten 60 Brüder und einige weitere lebten auf dem Land. In Tirana bemühten sich die Brüder, jeden Sonntag heimlich zusammenzukommen, um die Publikationen zu betrachten, die sie seit 1938 versteckt hielten.

Die albanischen Brüder hatten über lange Zeit kaum Kontakt zur Organisation gehabt. Deshalb mussten sie zunächst einmal auf den neusten Stand gebracht werden, welche Änderungen es auf organisatorischem Gebiet und im biblischen Verständnis gegeben hatte. Ein Beispiel: Sowohl Brüder als auch Schwestern leiteten Zusammenkünfte, bei denen Letztere sogar Gebete sprachen. John schrieb später: „Die Brüder waren ziemlich skeptisch und besorgt, wie die Schwestern die Änderungen aufnehmen würden. Deshalb baten sie mich, mit ihnen persönlich darüber zu reden, was ich auch tat. Wie froh ich war, als sie alles akzeptierten!“

Obwohl diese treuen Brüder ziemlich arm waren, unterstützten sie gern das Königreichswerk. Auffälligstes Beispiel waren für John zwei ältere Brüder aus Gjirokastër, die „von ihrem bisschen Geld eine bestimmte Summe als Spende für die Gesellschaft beiseite gelegt hatten“. Jeder von ihnen spendete den Gegenwert von über 100 Dollar in Goldmünzen.

Die Brüder in Tirana freuten sich besonders über die Broschüre In Frieden und Einheit predigen und lehren mit Anweisungen, wie Versammlungen (auch unter Verbot) zu organisieren waren. Im März hielt John Marks im Haus von Leonidha Pope in Tirana die Gedächtnismahlansprache. 37 Personen waren anwesend. Unmittelbar danach machte sich John auf den Weg, um das Schiff nach Griechenland zu erreichen.

Im Hauptbüro befasste man sich eingehend mit Johns Bericht über seinen Albanienbesuch. Anschließend wurden Leonidha Pope, Sotir Papa und Luçi Xheka beauftragt, sich um die Versammlung in Tirana und um das Werk im übrigen Land zu kümmern. Spiro Vruho wurde als Kreisaufseher eingesetzt. Er sollte die Versammlungen besuchen, am Abend mit den Brüdern zusammenkommen, Vorträge halten und den Inhalt bestimmter Publikationen behandeln. Die Organisation unternahm größte Anstrengungen, um den Brüdern in Albanien zu helfen, auf dem Laufenden zu bleiben und im Glauben noch stärker zu werden.

Natürlich konnte die Organisation angesichts der strengen Briefzensur kein offizielles Schreiben mit irgendwelchen Hinweisen schicken. Stattdessen übermittelte John den albanischen Brüdern die Information nach und nach, wobei er einen Code benutzte, der sich auf bestimmte Seiten in den Publikationen bezog. Bald ließen Rückmeldungen erkennen, dass die Brüder alles genau verstanden hatten. Die drei Brüder in Tirana erfüllten ihre Aufgaben als Landeskomitee und Spiro besuchte in regelmäßigen Abständen die Versammlungen.

Die albanischen Brüder mussten zu ungewöhnlichen Methoden greifen, um den Predigtdienstbericht an das Hauptbüro zu schicken. Sie nahmen dafür Postkarten, die an bestimmte Brüder im Ausland gingen. Mit einem spitzen Stift wurden die Berichte verschlüsselt unter die Briefmarke geschrieben: zuerst zum Beispiel die Seitenzahl, wo in der erwähnten Broschüre das Thema „Verkündiger“ behandelt wurde, und danach die Zahl derer, die in dem betreffenden Monat einen Bericht abgegeben hatten. Viele Jahre bediente man sich solcher Methoden, um mit den Brüdern in Albanien zu kommunizieren.

NACH GUTEM BEGINN EIN RÜCKSCHLAG

Das Landeskomitee strengte sich an, den wahren Glauben zu fördern. Doch Probleme ließen nicht lange auf sich warten. Wie Melpo ihrem Bruder John Marks 1963 schrieb, waren zwei der drei Brüder aus dem Landeskomitee, nämlich Leonidha Pope und Luçi Xheka, „nicht mehr bei ihren Familien“ und es fanden keine Zusammenkünfte statt. Später wurde mitgeteilt, Spiro Vruho sei im Krankenhaus und auch von Leonidha Pope und Luçi Xheka hieß es, sie seien krank, wobei auf Apostelgeschichte 8:1, 3 Bezug genommen wurde. Dort wird erwähnt, dass Paulus von Tarsus Christen ins Gefängnis einlieferte. Was war geschehen?

Leonidha Pope, Luçi Xheka und Sotir Ceqi arbeiteten in einer Fabrik, in der Mitglieder der Kommunistischen Partei vor allen Arbeitern Vorträge hielten, in denen sie die kommunistischen Ideale herausstellten. Bei einem Vortrag über die Evolution standen Leonidha und Luçi spontan auf und sagten: „Es stimmt nicht, dass der Mensch vom Affen abstammt!“ Am nächsten Tag holte man sie von zu Hause ab und verbannte sie an entfernte Orte — eine Strafe, die die Albaner als internim (Internierung) bezeichneten. Luçi brachte man in das Bergland von Gramsh. Da Leonidha als „Rädelsführer“ galt, kam er in das unwirtliche Bergland von Burrel. Bis zu seiner Rückkehr nach Tirana sollten sieben Jahre vergehen.

Ab August 1964 gab es praktisch keine Zusammenkünfte mehr. Wie aus den wenigen Informationen hervorging, die aus Albanien durchsickerten, wurden die Brüder von der Sigurimi streng überwacht. Eine Botschaft unter einer Briefmarke lautete: „Betet für uns. Literatur von Haus zu Haus beschlagnahmt. Man lässt uns nicht studieren. Drei im internim.“ Zunächst dachte man, Bruder Pope und Bruder Xheka seien freigelassen worden, weil sie die einzigen waren, die von den Botschaften unter den Briefmarken wussten. Später stellte sich jedoch heraus, dass Frosina, Luçis Frau, die Mitteilung geschrieben hatte.

Die leitenden Brüder waren also weit weg. Die Sigurimi unterband durch ihre strenge Überwachung jegliche Kommunikation zwischen den Zeugen. Doch die Brüder im internim gaben allen, mit denen sie zu tun hatten, ein eindrucksvolles Zeugnis. In Gramsh sagten die Leute oft: „Die ungjillorë [Evangeliumsverkündiger] sind hier. Sie gehen nicht zum Militär, sondern bauen unsere Brücken und reparieren unsere Generatoren.“ Diese treuen Brüder erwarben sich einen hervorragenden Ruf, der selbst nach Jahrzehnten nicht vergessen war.

EIN ATHEISTISCHER STAAT ENTSTEHT

Auf der politischen Bühne tat sich einiges: Albanien brach seine Beziehungen zur Sowjetunion ab und wurde ein enger Verbündeter Chinas. Die kommunistische Ideologie gewann so sehr an Boden, dass sich manche Albaner genauso kleideten wie der chinesische Parteivorsitzende Mao Tse-tung. 1966 schaffte Enver Hoxha militärische Ränge ab. Es wurde Misstrauen geschürt und keinerlei Widerspruch geduldet.

Die staatlichen Zeitungen brachten immer mehr Artikel, in denen die Religion verächtlich gemacht und als „gefährliches Element“ bezeichnet wurde. Schließlich machte eine Gruppe Studenten in Durrës mit einer Planierraupe eine Kirche dem Erdboden gleich. In schneller Folge wurden in einer Stadt nach der anderen religiöse Gebäude zerstört. Die Regierung stachelte die antireligiöse Stimmung an und 1967 erklärte sich Albanien zum ersten vollkommen atheistischen Land der Welt. Während andere kommunistische Staaten die Religion unter Kontrolle hielten, wurde sie hier nicht einmal mehr geduldet.

Einige muslimische, orthodoxe und katholische Geistliche kamen wegen ihrer politischen Aktivitäten ins Gefängnis. Den meisten übrigen Geistlichen blieb das erspart, weil sie klein beigaben und sich nicht mehr religiös betätigten. Einige wenige historische religiöse Gebäude wurden in Museen umgewandelt. Alles, was auf Religion hindeutete, war verboten — Kreuze, Ikonen, Moscheen und Minarette. Das Wort „Gott“ wurde nur noch abfällig gebraucht. Durch diese Entwicklungen wurde es für die Brüder nicht gerade einfacher.

In den 1960er-Jahren verstarben einige von ihnen. Die übrigen verstreut lebenden Verkündiger versuchten, die Wahrheit zu verteidigen, so gut sie konnten. Doch selbst Menschen, die etwas Interesse hatten, trauten sich nicht mehr, zuzuhören.

DIE LIEBE ZUR WAHRHEIT LIESS NIE NACH

Gole Flloko informierte John und Helen Marks 1968 über seine nachlassende Gesundheit. Zu predigen und zusammenzukommen war zwar verboten. Trotzdem sprach Gole, der damals Mitte 80 war, regelmäßig mit Freunden und anderen Leuten, die er auf dem Markt, im Park oder im Café traf, über die Wahrheit. Nicht lange nach seiner Mitteilung starb er in Treue. Wie so viele in Albanien hatte auch er unerschütterliche Liebe zu Jehova und zur Wahrheit bewiesen.

Mit zunehmendem Alter konnte Spiro Vruho nicht mehr als Kreisaufseher reisen. Doch Anfang 1969 geschah dann das Unfassbare: Sein Leichnam wurde in einem Brunnen gefunden. Laut der Sigurimi hatte er Selbstmord begangen. Stimmte das?

In einem Abschiedsbrief, der angeblich von Spiro stammte, war von Depressionen die Rede. Der Brief hatte aber eindeutig nicht seine Handschrift. Außerdem war Spiro vor seinem Tod nachweislich guter Dinge gewesen. Zudem wies sein Hals verräterische schwarze Druckstellen auf, die einen tätlichen Angriff vermuten ließen. Im Brunnen wurden keine Stricke gefunden, an denen er sich hätte aufhängen können, und er hatte kein Wasser in der Lunge.

Jahre später kam ans Licht, dass man gedroht hatte, Spiro mit seiner Familie ins Gefängnis zu werfen und ihnen keine Lebensmittel mehr zu geben, falls er nicht wählen würde. Wie die Brüder in Tirana herausfanden, hatte man Spiro am Tag vor den Wahlen umgebracht und ihn dann in den Brunnen geworfen. Es war nicht das letzte Mal, dass man Jehovas Zeugen als Selbstmord-Sekte abstempeln wollte.

EIN JAHRZEHNT DER ZWANGSISOLATION

Jehovas Zeugen auf der ganzen Welt freuten sich, als 1971 die leitende Körperschaft in Brooklyn wesentlich vergrößert wurde. Voller Erwartung waren sie, als bekannt gegeben wurde, dass Älteste und Dienstamtgehilfen ernannt werden sollten. Unsere Brüder in Albanien hörten jedoch erst Jahre später von diesen organisatorischen Änderungen, und zwar durch Touristen aus den USA. Diese hatten mit Llopi Bllani, einer Schwester in Tirana, kurz Kontakt aufgenommen und dabei erfahren, dass es in der Stadt keine Zusammenkünfte und angeblich nur noch drei aktive Zeugen gab. In Wirklichkeit waren es aber wesentlich mehr.

Kosta Dabe, der seit 1966 in Griechenland lebte, bemühte sich um ein Visum für sein Heimatland Albanien. Mit 76 Jahren wollte er seinen Kindern unbedingt die Wahrheit vermitteln. Da Kosta kein Visum erhielt, gab er an der albanischen Grenze seinen amerikanischen Pass ab und konnte einreisen. Ihm war bewusst, dass er vielleicht nie wieder ausreisen durfte.

1975 kam ein albanischstämmiges Ehepaar aus den USA als Touristen ins Land. Wie sie schrieben, war die Überwachung „schärfer denn je“ und Jehovas Zeugen wurden genau beobachtet. Staatliche Reiseleiter, die überwiegend zur Sigurimi gehörten, begleiteten Ausländer auf Schritt und Tritt. Nach deren Abreise nahm die Sigurimi alle ins Visier, mit denen sie Kontakt gehabt hatten. Touristen begegnete man ohnehin mit Argwohn. Willkommen waren sie nicht. Die Menschen fürchteten sich regelrecht vor Fremden.

Wie Kosta Dabe im November 1976 in einem Brief berichtete, waren in Vlorë 5 Personen beim Gedächtnismahl gewesen. Er wusste außerdem, dass in Përmet und Fier jeweils 1 Zeuge das Gedächtnismahl gefeiert hatte. In Tirana waren es an einem Ort 2 und an einem anderen weitere 4. Seines Wissens nach hatten 1976 also mindestens 13 Personen das Gedächtnismahl besucht.

Jahre später erzählte Kulla Gjidhari, wie sie das Gedächtnismahl feierte. „Am Vormittag backte ich Brot und besorgte den Wein. Am Abend zog ich die Vorhänge zu und holte die Bibel hervor, die ich hinter der Toilette versteckt hielt. Ich las in Matthäus, Kapitel 26, wie Jesus das Gedächtnismahl einführte. Darauf sprach ich ein Gebet, hielt das Brot hoch und stellte es wieder hin. Dann las ich in Matthäus weiter, betete wieder, hielt den Wein hoch und stellte ihn wieder hin. Anschließend sang ich ein Lied. Auch wenn ich buchstäblich allein war, fühlte ich mich mit meinen Brüdern auf der ganzen Welt verbunden.“

Kulla hatte kaum Verwandte. Sie wurde bereits als Kind von Spiro Karajani adoptiert und wohnte zusammen mit seiner Tochter Penellopi bei ihm in Tirana. Spiro starb Anfang der 1950er-Jahre.

ALBANIEN SCHOTTET SICH NOCH STÄRKER AB

Die Isolation Albaniens trat in eine neue Ära ein, als es 1978 mit China brach. Eine neue Verfassung zielte darauf ab, das Land völlig autark zu machen; damit einher gingen strenge Richtlinien für sämtliche Lebensbereiche, selbst für Theater, Ballett, Literatur und Kunst. Klassische Musik, die als staatsgefährdend galt, war verboten. Nur offizielle Autoren durften eine Schreibmaschine besitzen. Jeder, der dabei ertappt wurde, dass er sich ausländische Fernsehsendungen ansah, wurde von der Sigurimi verhört.

Trotz aller Repressalien kamen Brüder aus Österreich, Deutschland, Schweden, der Schweiz und den USA als Touristen ins Land, um dort mit den Brüdern Kontakt aufzunehmen. Die wenigen, die so erreicht wurden, schätzten das außerordentlich. Doch im Allgemeinen konnten die einzelnen Zeugen nicht miteinander kommunizieren, sodass nur wenige erfuhren, wann Besucher kamen.

1985 betrauerte Albanien den Tod des langjährigen Diktators Enver Hoxha. Danach waren Veränderungen in Regierung und Gesellschaft unvermeidlich. Im Jahr darauf starb auch John Marks. Helen, seine Witwe, die schon Mitte 60 war, beschloss nach Albanien zu reisen. „Wenn Ihnen dort irgendetwas zustößt, dürfen Sie nicht mit Hilfe von außen rechnen“, sagten die Beamten zu Helen, als sie ihr Visum abholte.

Ihr zweiwöchiger Besuch war für die Handvoll Verkündiger von großem Nutzen. Sie traf sich mit Johns Schwester Melpo, die bereits 25 Jahre zuvor durch ihren Bruder die Wahrheit kennengelernt hatte. Melpo war zwar immer noch nicht getauft, doch für die Organisation viele Jahre eine wichtige Kontaktperson.

Helen kam auch mit Leonidha Pope und Vasil Gjoka zusammen, der sich 1960 hatte taufen lassen. Sie erfuhr von sieben Zeugen, die in verschiedenen Landesteilen lebten. Im Gegenzug erzählte sie den Brüdern, was es in der Organisation Neues gab und wie das Werk in anderen kommunistischen Ländern voranging. Vorsichtig und informell predigte sie Personen, mit denen sie zu tun hatte. Wie Helen feststellen musste, waren die wirtschaftlichen Probleme in Albanien unübersehbar.

Sie berichtete: „Nur für ein bisschen Milch musste man sich oft schon um drei Uhr früh anstellen. In vielen Geschäften gab es so gut wie nichts.“

1987 bemühten sich die Zweigbüros in Österreich und Griechenland gemeinsam, weitere Besucher nach Albanien hineinzubringen. Ein österreichisches Ehepaar, Peter Malobabic und seine Frau, reisten 1988 als Touristen ein und schenkten Melpo eine Bluse, über die sie sich sehr freute. Noch größer war ihre Freude, als sie darin eingewickelt das Buch „Dinge, in denen es unmöglich ist, dass Gott lügt“ entdeckte.

Später im selben Jahr kam ein anderes Ehepaar zu Melpo und brachte weitere Literatur mit. Doch sie mussten äußerst vorsichtig sein, weil die Sigurimi sie mit Argusaugen überwachte. In den wenigen Minuten ohne Begleitung ihrer sogenannten offiziellen Führer konnten sie nur ganz kurz miteinander reden. Wie sie von ihr erfuhren, war Leonidha krank. Viele der anderen Brüder waren ebenfalls schon sehr alt und konnten sich nicht frei bewegen.

DIE VERHÄLTNISSE ÄNDERN SICH

Das Jahr 1989 kennzeichnete den Beginn politischer Veränderungen. Beispielsweise wurde für einen Fluchtversuch aus Albanien nicht mehr die Todesstrafe verhängt. Im Sommer kam Helen Marks erneut zu Besuch. Sie verbrachte mehrere Stunden damit, Hinweise und Anweisungen zu übermitteln. Vasil Gjoka machte, so gut es ging, kurze Besuche bei den Brüdern.

Als die Sigurimi erfuhr, dass Helen im Land war, kamen Beamte zu ihr — nicht, um ihr Schwierigkeiten zu machen, sondern weil sie ein Geschenk aus Amerika wollten. Wie schnell sich die Menschen doch ändern können!

Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer und die Auswirkungen waren selbst in Albanien zu spüren. Im März 1990 kam es in Kavajë zu heftigen Demonstrationen gegen das kommunistische System. Tausende strömten in die Botschaften in Tirana, weil sie das Land verlassen wollten. Studenten forderten Reformen und traten in den Hungerstreik.

Unter dem Jubel einer riesigen Menschenmenge wurde im Februar 1991 die 10 Meter hohe Statue von Enver Hoxha umgestürzt, die jahrelang den Skanderbeg-Platz in Tirana beherrscht hatte. Damit war nach Meinung des Volkes der Diktator endlich ganz verschwunden. Im März kaperten etwa 30 000 Albaner in Durrës und Vlorë Schiffe, mit denen sie nach Italien fuhren, wo sie um Asyl baten. Im selben Monat fand zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder eine Wahl mit mehreren Parteien statt. Obwohl die Kommunistische Partei daraus als Sieger hervorging, hatte die Regierung wesentlich an Macht verloren.

Im August 1991 besuchte Helen Marks Albanien zum letzten Mal. Die Veränderungen waren unübersehbar. Im Vormonat hatte die Regierung ein Religionsministerium eingerichtet und religiöse Betätigung nach 24 Jahren wieder gesetzlich gestattet. Sofort setzten sich die Brüder vermehrt im Dienst ein und führten Zusammenkünfte durch.

Vasil Gjoka wurde im griechischen Zweigbüro geschult, das Predigtwerk richtig zu organisieren. Da er nur sehr wenig Griechisch sprach, vermittelten ihm Brüder, die etwas Albanisch konnten, den Stoff, so gut es ging. Wieder in Tirana, setzte Vasil das Gelernte gewissenhaft um und bemühte sich um einen verbesserten Ablauf der beiden wöchentlichen Zusammenkünfte. Im Wachtturm-Studium wurde die neu veröffentlichte albanische Ausgabe der Zeitschrift verwendet.

Ein Bruder erinnert sich, wie es vorher war: „Die Zusammenkünfte begannen mit Lied und Gebet. Wir sangen Lieder, die uns die älteren Brüder beigebracht hatten. Nach dem Studium sangen wir wieder ein Lied — oder auch zwei oder drei oder noch mehr. Erst dann folgte das Gebet.“

Thomas Zafeiras und Silas Thomaidis brachten im Oktober 1991 und Februar 1992 Literatur aus Griechenland nach Albanien. Sie kamen mit den Brüdern in Tirana und mit ungetauften Verkündigern in Berat zusammen. Und sie notierten die Namen der vielen interessierten Personen, denen unbedingt geholfen werden musste. Nach Jahrzehnten der Isolation von allem Religiösen hungerten die Menschen geradezu danach. In Berat beispielsweise hielten Interessierte Zusammenkünfte ab, denn getaufte Brüder gab es dort nicht. Was konnte angesichts dieser Situation getan werden?

EINE UNERWARTETE AUFGABE

Michael und Linda DiGregorio waren Missionare in der Dominikanischen Republik. Michaels Großeltern gehörten zu den Albanern, die sich in den 1920er-Jahren in Boston taufen ließen. Er verfügte über Grundkenntnisse der albanischen Sprache. Als Michael und Linda 1992 Verwandte in Albanien besuchen wollten, fragten sie bei der leitenden Körperschaft an, ob es ratsam sei, während ihres dreitägigen Besuchs mit Brüdern zusammenzukommen. Sie waren nicht wenig überrascht, als die leitende Körperschaft sie bat, drei Monate in Albanien zu bleiben, um mitzuhelfen, das Predigtwerk zu organisieren.

Im Zweigbüro in Rom zeigten Brüder aus Griechenland und Italien den DiGregorios Fotos von einigen albanischen Brüdern (darunter Vasil Gjoka) und machten sie mit der Situation in Albanien vertraut. Als die beiden im April 1992 nach Tirana flogen, waren Albaner, die im Ausland lebten, wieder willkommen. Es gab allerdings noch viel Unruhe unter der Bevölkerung. Die Menschen blickten mit Sorge in die Zukunft.

Kaum hatten Michael und Linda das Flughafengebäude verlassen, wurden sie schon von Michaels Verwandten stürmisch begrüßt. Michael entdeckte im selben Moment Vasil Gjoka, der von ihrer Ankunft wusste.

„Geh mit den anderen schon mal vor“, sagte er zu Linda. „Ich bin gleich wieder da.“

Die Verwandten umarmten Linda, schnappten sich das Gepäck und eilten zu den Autos, während Michael schnell zu Vasil ging.

„Am Sonntag bin ich wieder in Tirana“, informierte er ihn kurz. „Ich finde dich dann schon.“

Koço, einer von Michaels Verwandten, wusste nicht, dass er und Linda Zeugen Jehovas waren. Er kam hinter ihm her und sagte: „Was machst du denn da? Wir geben uns hier nicht mit Fremden ab.“

Auf der kurvenreichen Landstraße nach Korçë wurde den DiGregorios der große Unterschied zur Karibik so richtig bewusst. „Alles sah alt aus, braun oder grau, und war staubverkrustet“, erzählt Michael. „Stacheldraht, wohin man sah. Die Menschen wirkten niedergeschlagen. Kaum ein Auto war zu sehen. Überall zerbrochene Fensterscheiben. Die Felder wurden von Hand bestellt. Seit den Tagen meiner Großeltern hatte sich kaum etwas verändert. Ich fühlte mich in längst vergangene Zeiten zurückversetzt.“

„EURE REISE WAR VON GOTT GELENKT“

Koço hielt seit Jahren etwas versteckt, was er ihm unbedingt zeigen wollte. Als Michaels Großmutter in Boston starb, schrieb die Familie einen langen Brief an die Verwandten in Albanien. Auf den ersten zehn Seiten ging es vorwiegend um Familienangelegenheiten. Doch gegen Ende wurde auf die Auferstehung eingegangen.

„Die Beamten überprüften den Brief und lasen die ersten paar Seiten“, erzählte ihm Koço. „Doch dann wurde es ihnen zu langweilig, und sie sagten: ‚Da hast du ihn. Das ist ja nur Familienkram.‘ Ich war überglücklich, im letzten Teil etwas über Gott zu erfahren.“

Daraufhin eröffnete ihm Michael, dass er und Linda Zeugen Jehovas waren, und er gab ihm ausführlich Zeugnis.

Wie die Menschen in biblischer Zeit fühlen sich Albaner verpflichtet, für ihre Gäste zu sorgen und sie zu beschützen. Deshalb bestand Koço darauf, Michael und Linda nach Tirana zu begleiten.

Michael erzählt: „In Tirana war Vasils Wohnung unauffindbar, weil es keine Straßenschilder gab. Koço schlug deshalb vor, auf dem Postamt nachzufragen.“

„Als Koço vom Postamt zurückkam, war er wie betäubt und fuhr schnurstracks zu Vasils Wohnung“, berichtet Linda weiter.

Später erklärte Koço sein Verhalten wie folgt: „Als ich mich im Postamt nach Vasil erkundigte, sagte man mir: ‚Der Mann ist ein Heiliger! Wissen Sie überhaupt, was er durchgemacht hat? In ganz Tirana gibt es keinen edleren Menschen!‘ Als ich das hörte, wusste ich, dass eure Reise von Gott gelenkt war. Und an mir sollte es nicht scheitern.“

NEUAUFBAU IN TIRANA

Vasil freute sich über den Besuch der DiGregorios und sie unterhielten sich stundenlang. Erst spätabends erwähnte er, dass Jani Komino, der mit Nasho Dori eingesperrt gewesen war, an diesem Vormittag gestorben war. Warum war Vasil nicht zum Begräbnis dieses lieben Bruders und engen Freundes gegangen? Dazu sagte er: „Weil jemand im Auftrag der leitenden Körperschaft kommen sollte.“

Für Michael und Linda war es am sinnvollsten, in Tirana zu bleiben. Die damalige Regierung gestattete Ausländern aber nicht, in der Stadt zu wohnen. Was nun?

„Wir legten alles in die Hände Jehovas“, sagt Michael. „Schließlich fanden wir eine kleine Wohnung.“

Linda berichtet: „Die Vermieter behielten den Schlüssel und kamen zu uns herein, wie sie wollten. Außerdem konnten wir nur durch eine andere Wohnung in unsere gelangen. Doch wir wohnten etwas abseits, was uns ganz lieb war, denn wir wollten ja nicht auffallen.“

Stunde um Stunde erzählten die älteren Brüder in Tirana den DiGregorios, was sie alles durchgemacht hatten. Es gab jedoch ein spezielles Problem: Manche der älteren Brüder misstrauten sich gegenseitig.

„Jeder Einzelne war loyal“, weiß Michael zu berichten. „Sie fragten sich jedoch, ob auch die anderen treu geblieben waren. Einige blieben untereinander zwar auf Distanz, doch uns gegenüber hatten sie keine Vorbehalte. Wir besprachen die Angelegenheit in aller Ruhe und sie sahen ein, dass es doch das Wichtigste war, den Namen Jehovas bekannt zu machen. In ihrer Liebe zu Jehova waren sie vereint. Und sie blickten erwartungsvoll in die Zukunft.“

Es gab aber so gut wie nichts, was für eine normale Versammlung selbstverständlich ist. Als Kulla Gjidhari und Stavri Ceqi beispielsweise zum ersten Mal die Broschüre Täglich in den Schriften forschen sahen, blätterten sie sie durch, konnten aber nichts damit anfangen.

Auf einmal rief Stavri: „Das ist ja Manna!“, womit er das Buch Täglich himmlisch Manna für den Haushalt des Glaubens meinte, das in Gebrauch war, als er die Wahrheit kennenlernte.

„Ach, übrigens: Wie geht es denn unserem Präsidenten, Bruder Knorr, und seinem Freund, Fred Franz?“, fragte Kulla. Auch daran sah man, wie viele Jahre sie von der Außenwelt abgeschnitten waren.

WAS FÜR EIN GEDÄCHTNISMAHL!

Das Zimmer in Vasil Gjokas Wohnung, wo die Brüder normalerweise zusammenkamen, maß 3 mal 4 Meter. Für das Gedächtnismahl war es natürlich zu klein. Man konnte auf Räumlichkeiten ausweichen, in denen sich früher die Redaktion der kommunistischen Parteizeitung befand. Dort versammelten sich 105 Personen. Zum ersten Mal wurde das Gedächtnismahl in Tirana nicht in einer Privatwohnung gefeiert. Obwohl es 1992 in ganz Albanien nur 30 Verkündiger gab, konnte man sich über 325 Gedächtnismahlbesucher freuen.

Die Zahl der Interessierten in Tirana stieg ständig. Bis zu 40 Personen kamen zu den Zusammenkünften in Vasils Wohnung. Einige der Neuen wollten ungetaufte Verkündiger werden, andere wollten sich bei nächster Gelegenheit taufen lassen. Wenn die Brüder mit den Taufbewerbern zusammenkamen, mussten sie immer viel Zeit mitbringen. Das Buch Organisiert, unseren Dienst durchzuführen gab es noch nicht in Albanisch. Deshalb musste man den Betreffenden jede Frage erst übersetzen. Bei einigen der Neuen kam man nicht darum herum, sich eingehend zu vergewissern, ob sie die Wahrheit verstanden hatten. Obwohl mit keinem von ihnen ein reguläres Bibelstudium durchgeführt worden war, verfügten sie über eine erstaunliche Erkenntnis.

ENDLICH DIE RECHTLICHE ANERKENNUNG

In den nächsten Wochen verbrachten die Brüder viel Zeit bei Rechtsanwälten und Staatsvertretern. Sie versuchten, für unser Werk die rechtliche Anerkennung zu erlangen. Eine Gruppe von Brüdern und Interessierten in Tirana hatte bereits einen formellen Antrag eingereicht. Aber man musste sich noch etwas gedulden, weil gerade eine neue Regierung die Arbeit aufgenommen hatte.

Ein Bruder erinnert sich: „Wir mussten alles zu Fuß erledigen. In der Stadt trafen wir zufällig den Minister für Menschenrechte, den Innenminister, den Justizminister, den Polizeichef, Mitglieder des Verfassungsgerichts und andere einflussreiche Persönlichkeiten. Sie waren alle sehr freundlich und froh über die entspannten Verhältnisse. Die meisten hatten bereits von den ungjillorë gehört. Kein Zweifel, Jehovas Zeugen waren in Albanien rege tätig.“

Die Staatsvertreter hatten bereits vor Wochen angekündigt, dass die Regierung Jehovas Zeugen rechtlich anerkennen würde, aber nichts war geschehen. Dann besuchte Angelo Felio, ein albanischstämmiger Bruder aus den USA, seine Angehörigen in Tirana. Er begleitete die Brüder zur Rechtsberaterin des Ministers, der uns die rechtliche Anerkennung gewähren konnte. Und dabei ergab sich etwas, was unsere Angelegenheit wesentlich beschleunigen sollte. Die Beraterin war hoch erfreut, als sie erfuhr, dass Angelos Familie aus derselben Gegend in Albanien stammte wie sie.

„Aus welchem Dorf kommt Ihre Familie denn?“, fragte sie Angelo.

Es war, wie sich herausstellte, auch ihr Heimatdorf.

„Wie war noch Ihr Familienname?“, vergewisserte sie sich.

Es war kaum zu glauben: Beide waren miteinander verwandt! Ihre Familien hatten sich jedoch schon lange aus den Augen verloren.

„Ich fand Ihre Satzung sehr beeindruckend und hatte mir vorgenommen, Ihnen zu helfen. Und jetzt muss ich es ganz einfach, denn es geht ja um die Familie!“, erklärte sie.

Ein paar Tage später überreichte die Rechtsberaterin den Brüdern die Verfügung Nr. 100, mit der Jehovas Zeugen in Albanien die rechtliche Anerkennung gewährt wurde. Endlich war auch vor dem Gesetz die ungehinderte Anbetung des wahren Gottes Jehova gestattet, die immerhin schon seit 1939 verboten gewesen war. „Was wir an jenem Tag empfanden, lässt sich mit Worten gar nicht beschreiben“, sagten die DiGregorios.

Zwei Wochen später kam Robert Kern aus dem griechischen Zweigbüro, das für Albanien zuständig war, nach Tirana. Er gab den einheimischen Brüdern nicht nur die Eintragung des Werkes bekannt, sondern auch die Gründung der Versammlung Tirana. Ihr Versammlungsgebiet umfasste „ganz Albanien“. Jetzt musste auch der Haus-zu-Haus-Dienst gut organisiert durchgeführt werden. In Tirana mietete man ein Haus mit drei Schlafzimmern, das als Missionarheim und Büro diente. Ein großer Nebenraum wurde der erste Königreichssaal.

EIN EINSAMES SCHAF GEFUNDEN

„Gibt es in Vlorë eigentlich Zeugen Jehovas?“, fragten sich die Brüder, als sie sich über die Fortschritte des Predigtwerks in Albanien unterhielten. Einige wussten nur von einer alten Frau, die angeblich senil war. Eines Tages kam eine Frau in das Büro und erklärte, sie und ihre Angehörigen seien ungjillorë. In Vlorë habe ihnen jemand namens Areti die Wahrheit gebracht. Brüder aus Tirana machten sich daher auf die Suche nach Areti.

Areti Pina war schon an Jahren fortgeschritten und von kleiner Gestalt. Sie ließ die Besucher zwar in ihre Wohnung, verhielt sich aber etwas reserviert. Als diese sich als ihre Glaubensbrüder vorstellten, blieb sie völlig ungerührt.

„Darf ich euch etwas fragen?“, platzte Areti nach einigen Minuten heraus. Dann bombardierte sie die Brüder mit Fragen: „Glaubt ihr an die Dreieinigkeit? Wie lautet Gottes Name? Glaubt ihr an die Feuerhölle? Was geschieht mit uns, wenn wir sterben? Was wird aus der Erde? Wie viele Menschen kommen in den Himmel?“

Die Brüder blieben ihr keine Antwort schuldig.

„Geht ihr predigen?“, wollte Areti dann wissen.

„Ja, das tun wir“, sagte einer der Brüder.

„Aber wie predigt ihr?“, fragte sie.

„Von Haus zu Haus“, erwiderte der Bruder.

Mit Tränen in den Augen sprang Areti auf und umarmte ihn.

„Jetzt weiß ich, dass ihr meine Brüder seid“, rief sie aus. „Nur das Volk Jehovas predigt von Haus zu Haus.“

Protestantische Gruppen in Vlorë, die gehört hatten, dass Areti religiös war, hatten sie schon für sich gewinnen wollen. „Aber mit Babylon der Großen wollte ich absolut nichts zu tun haben“, erklärte sie. „Deshalb musste ich mich vergewissern, ob ihr wirklich meine Glaubensbrüder seid.“

Areti hatte sich 1928 mit 18 Jahren taufen lassen. Sie war die Berge hinauf- und hinuntergewandert und hatte mit der Bibel in der Hand gepredigt. Obwohl schon vor Jahren der Kontakt zu den Brüdern abgerissen war, hatte sie, auf sich gestellt, treu weitergepredigt.

„Jehova ist wunderbar“, sagte sie mit tränenerstickter Stimme. „Er hat mich nie vergessen!“

Die Leute meinten, Areti sei nicht ganz klar im Kopf, weil sie selbst unter der unbarmherzigen totalitären Herrschaft ihren Glauben an Gott bewahrte. Doch sie war alles andere als senil. Nach wie vor hatte sie einen völlig klaren Verstand.

ARBEIT OHNE ENDE!

Nachdem unser Werk gesetzlich anerkannt war, gab es unendlich viel zu tun, um die Königreichsinteressen in Albanien voranzubringen. Die Brüder mussten mit dem aktuellen Erkenntnisstand vertraut gemacht und im Glauben gestärkt werden. Es wurden Veröffentlichungen in Albanisch benötigt, und zwar sowohl für die Brüder als auch für den Predigtdienst. Außerdem brauchte man dringend mehr Verkündiger. Wer könnte helfen?

1992 trafen Sonderpioniere aus Italien und Griechenland ein, die zunächst einmal einen Albanischkurs absolvierten. Gleichzeitig begann ein kleines Team mit der Übersetzung unserer Veröffentlichungen. Obwohl es manchmal keinen Strom gab — einmal 21 Tage hintereinander —, bewahrten sich die Brüder ihren Sinn für Humor und hatten immer reichlich zu tun.

Es fielen auch viele manuelle Arbeiten an. Als es kalt wurde, musste im Missionarheim geheizt werden. Doch in ganz Albanien gab es kein Holz zu kaufen. Was tun, um nicht zu frieren? Brüder aus Griechenland kamen zu Hilfe, indem sie eine Ladung großer Holzscheite und eine elektrische Säge schickten. Damit war das Problem aber nicht ganz gelöst. Der Holzofen hatte nämlich nur eine sehr kleine Tür und die Säge nützte nichts, weil es wieder einmal keinen Strom gab. Glücklicherweise hatte ein Bruder einen Freund, der eine Axt besaß. Dieser wohnte allerdings am anderen Ende von Tirana. Da keine Busse fuhren, dauerte es zwei Stunden, bis die Axt im Missionarheim war. Und sie musste vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurückgebracht werden. „Solange wir die Axt hatten, wechselten sich alle beim Holzhacken ab“, erinnert sich einer der Missionare. „Auf diese Weise brauchte keiner zu frieren.“

Genau in der Zeit, als ständig Holz gehackt werden musste und die Sprachkurse liefen, besuchten Nick und Amy Ahladis von der Abteilung Übersetzungshilfe (damals in Brooklyn, jetzt in Patterson) zum ersten Mal das albanische Übersetzungsteam. Die freundliche und ausgeglichene Art der Unterweisung gab den neuen Übersetzern großen Auftrieb. Sie lernten schnell und leisteten gute Arbeit. Der italienische Zweig druckte die Literatur und versandte sie nach Albanien.

All die Mühe lohnte sich angesichts der hervorragenden Resonanz im Dienst. Die Verkündiger waren voller Eifer, selbst die neuen. Lola zum Beispiel war jeden Monat 150, 200 und teilweise sogar noch mehr Stunden tätig. Als man ihr riet, mit ihren Kräften doch etwas zu haushalten, entgegnete sie: „Bis jetzt hab ich mein Leben nur vergeudet. Wofür könnte ich meine Zeit besser einsetzen?“

ES GEHT VORAN

Der März 1993 war für Albanien ein historischer Monat. In Berat, Durrës, Gjirokastër, Shkodër, Tirana und Vlorë begannen Sonderpioniere mit ihrem Dienst. Der Wachtturm vom 1. März war die erste Ausgabe, die von einem Übersetzungsteam in Albanien fertiggestellt wurde. Die Brüder führten erstmals die Theokratische Predigtdienstschule durch und hatten nun endlich alle 5 wöchentlichen Zusammenkünfte. Es gab die erste Ausgabe von Unserem Königreichsdienst in Albanisch. Und in Tirana fand im Nationaltheater für Oper und Ballett am Skanderbeg-Platz der erste Tagessonderkongress statt.

Aus Griechenland und Italien trafen Delegierte ein, die sich diesen historischen Tagessonderkongress nicht entgehen lassen wollten. Nasho Dori sprach das Anfangsgebet und dankte Jehova für die vielen Segnungen. 585 Personen waren anwesend und 41 ließen sich taufen. Darunter waren Kinder und Enkel albanischer Brüder und Schwestern, die Jehova jahrzehntelang treu gedient hatten.

Auf dem ersten Bezirkskongress (1993) herrschte große Begeisterung. Über 600 Personen waren anwesend, darunter Delegierte aus Frankreich, Griechenland, Italien, Österreich und der Schweiz. Die einheimischen Zeugen konnten es kaum fassen, nach so langer Isolation mit vielen Brüdern aus den verschiedensten Ländern zusammen zu sein.

Damit die Tätigkeit besser organisiert werden konnte, ernannte die leitende Körperschaft ein Landeskomitee, dem Nasho Dori, Vito Mastrorosa und Michael DiGregorio angehörten. Es stand unter der Aufsicht des italienischen Zweigbüros. Eine seiner vordringlichsten Aufgaben war, Räumlichkeiten für das Büro und die wachsende Übersetzungsabteilung zu finden.

Stefano Anatrelli aus Italien gehörte zu der nächsten Gruppe von Sonderpionieren, die Albanischunterricht erhielten. Nach fünf Wochen Sprachschulung wurde er ins Büro gerufen, wo man ihm sagte: „Wir möchten dich bitten, die Sonderpioniere und Gruppen als Kreisaufseher zu besuchen.“

„Aber ich kann doch noch gar nicht richtig Albanisch“, war Stefanos erste Reaktion. Doch er schätzte es sehr, solch eine ehrenvolle Aufgabe zu erhalten. Mit etwas Hilfe konnte er einige Vorträge vorbereiten und machte sich dann auf den Weg bis in die hintersten Winkel von Albanien. Fast 30 Jahre waren vergangen, seit Spiro Vruho die Brüder in der Verbotszeit als Kreisaufseher besucht hatte. 1995 wurde Stefano ins Landeskomitee berufen.

1994 kam eine dritte Gruppe Pioniere aus Italien. Von ihrem Eifer wurden die neuen albanischen Zeugen regelrecht mitgerissen. Am Ende des Dienstjahres 1994 gab es 354 Verkündiger.

Viele von ihnen waren allerdings emotional belastet. Es fiel ihnen nicht leicht, sich auf den Wechsel von totaler Unterdrückung zu einer völlig freien Gesellschaft einzustellen. Wer unter dem totalitären System überleben wollte, musste bewusst darauf achten, gegenüber anderen — besonders Fremden — niemals offen seine Gefühle zu zeigen. Die ausländischen Brüder und Schwestern hatten dafür jedoch Verständnis. Sie bemühten sich geduldig, das Vertrauen derer zu gewinnen, die noch nicht so lange in der Wahrheit waren.

Im selben Jahr besuchte Theodore Jaracz als erstes Mitglied der leitenden Körperschaft Albanien. Sowohl die älteren Brüder und Schwestern als auch die neuen Verkündiger freuten sich, ihn kennenzulernen. Zu seinem Vortrag in Tirana kamen mehr als 600 Personen.

Inzwischen war in Tirana eine Immobilie für ein Büro gekauft worden. In weniger als 6 Monaten baute ein Team von hart arbeitenden ausländischen Brüdern die alte Villa um, in der nun moderne Büroräume entstanden. Außerdem errichteten sie ein Wohngebäude für 24 Personen. Die Bestimmungsübergabe fand am 12. Mai 1996 statt, als Milton Henschel von der leitenden Körperschaft Albanien besuchte.

AUF SICH ALLEIN GESTELLT

In Korçë las ein junger Mann namens Arben die biblische Literatur, die ihm seine Schwester schickte. Er erkannte daraus die Wahrheit und schrieb an das albanische Büro. Daraufhin wurde mit ihm eine Zeitlang brieflich studiert. Schließlich machten sich zwei Brüder auf den Weg, um Arben zu helfen, weitere Fortschritte zu machen. Sie unterhielten sich eingehend mit ihm und stellten dabei fest, dass er die Voraussetzungen für einen Verkündiger erfüllte. Die beiden Brüder gingen dann mit ihm in das Zentrum von Korçë und ließen ihn zusehen, wie sie sich mit Passanten unterhielten.

Arben berichtet: „Dann drückten sie mir die Zeitschriften in die Hand und sagten: ‚Jetzt bist du dran.‘ Sie schickten mich einfach allein los.“

Einige Monate später erhielt er Unterstützung durch Sonderpioniere. Bis dahin hatten allerdings schon so viele Personen günstig auf sein Predigen reagiert, dass bald nach der Ankunft der Sonderpioniere eine Gruppe gebildet werden konnte.

Gegen Ende des Jahres riefen Pioniere aus Vlorë im Büro an, um mitzuteilen, dass Areti Pina krank war und darum bat, von einem der verantwortlichen Brüder besucht zu werden. Als er kam, schickte sie alle anderen hinaus, weil sie mit ihm allein sprechen wollte.

„Ich habe nicht mehr lange zu leben“, sagte sie, wobei sie nach Luft rang. „Mir geht vieles durch den Sinn und ich muss dich etwas fragen. Alle Einzelheiten bekomme ich nicht mehr zusammen. Aber ich möchte unbedingt wissen: Hat sich die Offenbarung erfüllt?“

„Ja, Areti, das meiste hat sich erfüllt“, antwortete der Bruder, der dann einiges anführte, was noch aussteht. Sie hing an seinen Lippen.

„Jetzt kann ich in Frieden sterben“, sagte sie. „Ich wollte einfach wissen, wie nah das Ende ist.“

Viele Jahre hatte Areti begeistert gepredigt — ob allein in den Bergen oder vom Krankenbett aus. Nicht lange nach diesem Gespräch ging ihr irdisches Leben zu Ende.

GLAUBENSSTARK BIS IN DEN TOD

Nasho Dori war inzwischen Mitte 80 und ziemlich krank. Seine Kräfte schwanden zusehends. Ihm lag jedoch eine Gruppe von Zeugen am Herzen, die besonders er gut ermuntern konnte: junge Brüder, die Militärdienst leisten sollten. Die orthodoxen Geistlichen in Berat, die Jehovas Zeugen um ihr schnelles Wachstum beneideten, verlangten von den Behörden, diese Wehrdienstverweigerer vor Gericht zu stellen.

In diesem Fall mussten sechs junge Brüder mit mehreren Monaten Gefängnis rechnen. Da sich Nasho bewusst war, wie dringend sie Ermunterung brauchten, setzte er sich im Bett auf und ließ für sie eine Videobotschaft aufnehmen.

„Habt keine Angst“, forderte Nasho die jungen Brüder auf. „Das haben wir alles schon hinter uns. Jehova wird mit euch sein. Macht euch keine Sorgen, wenn ihr ins Gefängnis müsst. Es wird alles zur Ehre des Namens Jehovas ausschlagen.“

Als sich Nashos Gesundheit weiter verschlechterte, rief er einige Brüder an sein Bett und sagte: „Ich musste um Vergebung bitten. Letzte Woche hatte ich solche Schmerzen, dass ich darum betete, zu sterben. Doch dann dachte ich bei mir: ‚Jehova, du bist der Quell und Inbegriff des Lebens. Ich hab um etwas gebeten, was deinem Willen widerspricht. Bitte, vergib mir!‘ “

Als Nasho erfuhr, dass die Zahl der Verkündiger auf 942 gestiegen war, sagte er: „Jetzt sind wir sogar in Albanien eine große Volksmenge!“ Wenige Tage später endete sein irdisches Leben.

DIE TRAZIRA: EINE ZEIT DER ANARCHIE

In den Jahren bis 1997 nahmen Ausbeutung, Bestechung und Korruption im Land überhand. Viele Albaner verkauften in dieser Zeit ihren gesamten Besitz und investierten ihr ganzes Geld in Pyramidensysteme, die schnellen Gewinn versprachen. Als klar wurde, dass man sie um ihr Geld gebracht hatte, gingen die verbitterten Bürger auf die Straße.

Gerade als der Aufruhr begann, fand der Tagessonderkongress statt. Eine Schwester, die für einen hochrangigen Regierungsbeamten arbeitete, berichtete den Brüdern, dass der Ministerpräsident kurz vor dem Rücktritt stand. Wie sie erfuhr, war deshalb mit beispiellosen Gewaltakten zu rechnen. Das Tagessonderkongress-Programm wurde verkürzt, damit die Brüder schnell nach Hause kommen konnten. Zwei Stunden nach Programmschluss wurde im Land der Notstand ausgerufen und eine Ausgangssperre verhängt.

Niemand wusste so recht, was eigentlich los war. Die Gerüchte überschlugen sich. Wurde das Ganze vom Ausland gesteuert oder steckten die eigenen Politiker dahinter? Die Pyramidensysteme waren zusammengebrochen und die meisten Investoren sahen keinen roten Heller wieder. In Vlorë brach ein Aufstand los. Aus den staatlichen Arsenalen wurde alles an Waffen und Munition geplündert. Sobald das durch die Nachrichten ging, griffen die Menschen in einer Stadt nach der anderen zur Gewalt. Das Land befand sich im Aufruhr, und die Polizei war machtlos. Der bewaffnete Aufstand stürzte Albanien in die Anarchie.

Die meisten der 125 ausländischen Vollzeitdiener begaben sich aus Sicherheitsgründen nach Tirana. Viele Albaner machten Ausländer für das Geschehen verantwortlich. Deshalb war es für die ausländischen Pioniere das Klügste, das Land zu verlassen. Da der Flughafen geschlossen war, brachte man einige der italienischen Pioniere nach Durrës. Der Hafen war allerdings in den Händen bewaffneter Einheimischer. Wie erleichtert waren die Pioniere, als sie nach 12 Stunden nervenaufreibendem Warten an Bord eines Schiffes gehen konnten, das sie in ihr Heimatland brachte!

Das Landeskomitee stand täglich in Telefonkontakt mit Brüdern in verschiedenen Landesteilen. Auf den Straßen herrschte morgens immer eine unheimliche Stille. Am Nachmittag begannen dann Schießereien, die die Nacht hindurch bis zum Morgengrauen andauerten. Man feuerte sogar mit Flugabwehrgeschützen. Diese gewalttätigen Auseinandersetzungen wurden als trazira (Der Aufruhr) bezeichnet.

„ZUR EHRE DES NAMENS JEHOVAS“

Arben Merko war einer der sechs Brüder aus Berat, die wegen der Neutralitätsfrage eingesperrt wurden. Er erzählt: „In meiner Zelle war ein kleines Loch in der Mauer. Ein Mann in der Nachbarzelle fragte, wer ich sei.“ Arben gab ihm mehrere Wochen lang Zeugnis. Eines Tages war die Stimme verstummt.

Nach Arbens Entlassung stand plötzlich ein junger Mann vor seiner Haustür. Sein Gesicht war ihm unbekannt, nicht aber seine Stimme. Es war der Mann aus der Nachbarzelle!

„Ich wollte dir das hier geben“, sagte er zu Arben und überreichte ihm einen Verstärker.

„Während der trazira habe ich diesen Verstärker aus eurem Königreichssaal gestohlen“, erklärte er. „Doch das, was du mir im Gefängnis erzählt hast, ging mir zu Herzen. Ich möchte vor Gott ein reines Gewissen haben. Deshalb bring ich ihn dir zurück.“

Arben dachte sofort an Nasho Doris letzte Botschaft für die jungen Männer, die Gott treu bleiben wollten: „Es wird alles zur Ehre des Namens Jehovas ausschlagen.“

FÜR JEHOVAS SCHAFE SORGEN

Wegen der Abreise der ausländischen Ältesten mussten in den meisten Versammlungen und größeren Gruppen 19- und 20-jährige Dienstamtgehilfen die Führung übernehmen. Eines Tages unternahmen drei dieser jungen Brüder die gefährliche Reise von Vlorë nach Tirana. Da die Nahrungsmittel knapp waren, erkundigte sich das Landeskomitee bei ihnen vor allem nach den materiellen Bedürfnissen der Brüder.

„Uns sind bloß die Predigtdienst-Berichtszettel ausgegangen“, erklärten die jungen Männer. Wie den treuen alten Brüdern in früheren Jahren lagen ihnen die geistigen Bedürfnisse mehr am Herzen als die physischen. Sie erzählten auch, dass viele Menschen wegen der verbreiteten Angst und Unsicherheit günstig auf die gute Botschaft reagierten.

Nicht lange nach dem Gedächtnismahl ging ein Anruf im Büro ein. „Wir sind eine Gruppe eurer Schwestern in Kukës“, tönte es aus dem Hörer. „Seit uns die Pioniere verlassen haben, führen wir die Zusammenkünfte allein durch.“

Wegen des Aufstands war der Kontakt des Landesbüros zu den Verkündigern in Kukës abgerissen. Eine Gruppe von 7 ungetauften Verkündigern hatte dennoch das Gedächtnismahl an zwei verschiedenen Orten gefeiert. Sie waren zwar etwas in Sorge, das Gedächtnismahl nicht ganz korrekt durchgeführt zu haben, doch sie konnten freudig die Zahl von insgesamt 19 Anwesenden durchgeben. Trotz der Ausgangssperre und der schwierigen Verhältnisse besuchten 1997 nicht weniger als 3 154 Personen das Gedächtnismahl. Und inmitten der Anarchie predigten die Verkündiger vorsichtig weiter und vermittelten Trost.

Als das Landeskomitee erfuhr, dass die Brüder in Gjirokastër Nahrungsmittel und Literatur benötigten, wurde überlegt, ob man eine Lastwagenladung mit Vorräten gefahrlos dorthin bringen könnte. Eine Schwester unterbrach die Besprechung mit der Mitteilung, dass eine Nachrichtensprecherin, die einige wichtige Informationen hatte, mit den Brüdern reden wollte.

Ohne zu wissen, was im Komitee behandelt wurde, gab die Frau den Rat: „Fahren Sie morgen auf keinen Fall in Richtung Süden. Wie wir gehört haben, kann es in Tepelenë sehr gefährlich werden.“ Da die Straße nach Gjirokastër durch Tepelenë führt, entschieden die Brüder, nicht zu fahren.

Am nächsten Tag wurde kurz nach 11 Uhr in einer Sondersendung von äußerst heftigen, blutigen Kämpfen in Tepelenë berichtet. Dabei war sogar die Brücke in der Stadt in die Luft geflogen. Die Brüder dankten Jehova, dass man sie von der Fahrt dorthin abgehalten hatte.

Über Wochen hörte die Bethelfamilie nächtliches Gewehrfeuer. Nicht selten waren noch während der morgendlichen Anbetung in der Ferne Maschinengewehrfeuer und Bombenexplosionen zu hören. Da wahllos in die Luft geschossen wurde, bestand immer die Gefahr, von einem verirrten Geschoss getroffen zu werden. Aus Sicherheitsgründen blieb die Bethelfamilie im Haus. Die Übersetzer arbeiteten auf dem Boden sitzend möglichst weit von den Fenstern entfernt.

Im April 1997 trafen 7 000 UN-Soldaten ein, um die Ordnung im Land wiederherzustellen. Bis zum August waren sie wieder abgezogen, und es konnte ein Bezirkskongress durchgeführt werden. Die Verkündiger waren begeistert, da sie monatelang nur in kleinen Gruppen zusammenkommen konnten.

Auf dem Weg zum Kongress wurden einige der angemieteten Busse von bewaffneten Räubern angehalten. Als diese erfuhren, dass die Fahrgäste Zeugen Jehovas waren, sagten sie: „Ihr seid nicht wie die anderen. Euch tun wir nichts.“

Wie wirkte sich die trazira auf das Predigtwerk aus? Behinderte sie das Wachstum? Ganz im Gegenteil! Die Gefahren und Sorgen veranlassten offensichtlich viele weitere Menschen, nach Gott zu suchen. In nur 15 Monaten nahmen 500 neue Verkündiger den Predigtdienst auf. Insgesamt gab es nun über 1 500 Verkündiger.

DER KOSOVO IM RAMPENLICHT

Nach der trazira war von den Waffen bald nichts mehr zu sehen. Die Versammlungen wuchsen weiter. Doch dann kam es zu Gewaltausbrüchen im benachbarten Kosovo. Auch in Albanien waren die Auswirkungen des Krieges zu spüren, da immer wieder Flüchtlinge über die Grenze strömten. Die albanischen Verkündiger waren sofort darauf bedacht, den Flüchtlingen die Botschaft der Hoffnung und trostreiche Literatur zu bringen. Sie nahmen sich auch einer Gruppe von 22 Zeugen Jehovas mit kleinen Kindern an.

Im August endete der Krieg und die kosovarischen Brüder kehrten nach Hause zurück — aber nicht allein. Sie wurden von albanischen und italienischen Brüdern begleitet, darunter 10 Sonderpioniere, die sie unterstützen wollten. Am Ende des Dienstjahres 1999 gab es in Albanien 1 805 Verkündiger und im Kosovo 40.

DAS WERK WIRD WEITER GEFESTIGT

„Ich bin froh, dass bei uns so viel übersetzt wird“, sagte Nasho Dori nicht lange vor seinem Tod. „Aber was wir wirklich brauchen, ist die Neue-Welt-Übersetzung — eine Bibel von hoher Qualität, die uns hilft, den Glauben zu vertiefen.“ 1999, nur drei Jahre nach Nashos Tod, genehmigte die leitende Körperschaft, die Neue-Welt-Übersetzung der Christlichen Griechischen Schriften in Albanisch anzufertigen.

Auf dem Kongress im Jahr 2000 erlebten die Anwesenden eine freudige Überraschung: die Veröffentlichung der Neuen-Welt-Übersetzung der Christlichen Griechischen Schriften in Albanisch. Das fleißige Übersetzungsteam war mit ganzem Herzen bei dem Projekt und konnte es in weniger als einem Jahr abschließen. Eine allgemeine Pionierin, ehemals Mitglied der kommunistischen Volksversammlung, schrieb: „Wie wunderbar! Erst nach dem Studium dieser Übersetzung ist es mir möglich, zu verstehen, wie wunderbar die Bibel mit ihrer Prosa, ihrer Poesie und den flüssig verfassten Berichten ist. Man kann sich die gesamte ergreifende Handlung ganz deutlich vorstellen. Als ich las, wie Jesus Wunder wirkte und dafür getadelt und verspottet wurde, berührte es mich so tief wie nie zuvor!“

Inzwischen gab es in Albanien 2 200 Verkündiger und die Bethelfamilie war auf 40 Personen angewachsen. Man hatte bereits Wohnungen angemietet, aber es wurde unbedingt noch mehr Platz benötigt. Deshalb genehmigte die leitende Körperschaft den Kauf eines 3 Hektar großen Grundstücks in Mëzez am Stadtrand von Tirana. Das Werk in Albanien und im Kosovo dehnte sich immer mehr aus. Um es besser beaufsichtigen zu können, fungierte das Landeskomitee ab dem Jahr 2000 als Zweigkomitee.

Im September 2003, als der Bau der neuen Zweigeinrichtungen begann, gab es im Land 3 122 Verkündiger. Die Übersetzung der Hebräischen Schriften ins Albanische machte gute Fortschritte. Im Dienst wurden ausgezeichnete Ergebnisse erzielt. Und die Verkündiger nahmen immer mehr an Reife zu. Viele von den 20 jungen Männern in der ersten albanischen Klasse der Schule zur dienstamtlichen Weiterbildung (August 2004) hatten sich bereits als Teenager einige Jahre zuvor während der trazira um die Versammlungen gekümmert. Wie sehr sie sich doch jetzt über weitere theokratische Schulung freuten!

„DER TEUFEL ... WAR WÜTEND“

„Jehova treibt Menschen zum Selbstmord!“, verkündeten die Schlagzeilen im Februar 2005. In Fernsehen und Zeitungen wurde das Gerücht verbreitet, eine junge Zeugin Jehovas habe Selbstmord begangen. Tatsächlich hatte die Jugendliche aber weder studiert noch Zusammenkünfte besucht. Trotzdem nutzten Gegner den Vorfall für einen Generalangriff.

Lehrer verspotteten die Kinder von Zeugen. Brüder verloren die Arbeit. Man verlangte lautstark, unsere Tätigkeit zu verbieten. Verantwortliche Brüder versuchten zwar, mit Medienvertretern vernünftig zu reden, aber die Berichte wurden immer gehässiger.

Jehovas Diener brauchten unbedingt Anleitung und Unterstützung, um mit diesem neuen Angriff fertig zu werden. Das Zweigbüro ließ deshalb einen besonderen Vortrag halten. Darin wurde der Nutzen herausgestellt, weiterhin die Wahrheit zu verkündigen, um die boshaften Lügen aufzudecken. Man ermunterte die Brüder, an die Vernunft zu appellieren und nicht der Menschenfurcht nachzugeben. Aufrichtige Personen könnten sie darauf hinweisen, wie stark die Zahl der Zeugen Jehovas in den vergangenen Jahren gestiegen war, was wohl kaum der Fall gewesen wäre, wenn es bei ihnen üblich wäre, sich das Leben zu nehmen. Diese Art des Angriffs war keinesfalls neu. Die Brüder wurden an die erfundene Selbstmordgeschichte erinnert, die in den 1960er-Jahren über Spiro Vruho verbreitet wurde. Die jetzigen Berichte würden letztlich nichts bewirken, und genauso war es.

Einige Monate später, im August, war David Splane von der leitenden Körperschaft unter den 4 675 Delegierten, die sich aus Albanien und dem Kosovo zum Bezirkskongress versammelt hatten. Die Anwesenden konnten ihre Begeisterung kaum im Zaum halten, als Bruder Splane die Veröffentlichung der gesamten Neuen-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift in Albanisch bekannt gab.

Ein langjähriger Zeuge sagte: „Kein Wunder, dass der Teufel uns solche Steine in den Weg legen wollte! Er war wütend, weil Jehovas Volk so viel Gutes erhält.“

Trotz der negativen Medienberichte wurde Gottes Volk immer größer. Viele nicht gläubige Ehemänner und Verwandte durchschauten die unwahren Berichte, studierten die Bibel und wurden ebenfalls Verkündiger. Satans bösartiger, gemeiner Angriff konnte den Willen Jehovas nicht durchkreuzen. Die Bethelfamilie bezog das neue Zweigbüro und die zweite Klasse der Schule zur dienstamtlichen Weiterbildung absolvierte ihren Kurs.

EINWEIHUNG DES ZWEIGBÜROS

Theodore Jaracz und Gerrit Lösch von der leitenden Körperschaft gehörten im Juni 2006 zu den 350 Delegierten aus 32 Ländern, die zur Einweihung der neuen Zweigeinrichtungen kamen. Unter den Gästen war auch Sotir Ceqi, den man in den 1940er-Jahren mit Elektroschocks gefoltert hatte. Der Endsiebziger ist immer noch ein freudiger Diener Jehovas.

„Von so einem Tag konnte man früher höchstens träumen“, sagte Frosina Xheka, die selbst nach Jahrzehnten größter Härten immer noch treu im Dienst stand. Polikseni Komino, Janis Witwe, erzählte von ihren Töchtern und ihrer Enkelin, die allgemeine Pioniere sind. Ebenfalls anwesend war Vasil Gjoka. Gebeugt infolge der langen Leidensjahre, erzählte er mit Tränen in den Augen, wie er in den 1960er-Jahren Leonidha Pope besuchte und heimlich getauft wurde.

Das alte Zweigbüro in Tirana wurde in einen Königreichssaalkomplex und in ein Missionarheim für 14 Missionare umgebaut. 6 Klassen der Schule zur dienstamtlichen Weiterbildung brachten einen ganzen Schwung an treuen, aufopferungsvollen Sonderpionieren hervor, die ein enormer Gewinn für das Gebiet sind. Die mehr als 950 einheimischen allgemeinen Pioniere und Sonderpioniere stehen ihnen an Eifer um nichts nach.

DER WEG VOR UNS

Unsere albanischen Brüder und Schwestern schätzen die Bibel und die Veröffentlichungen in ihrer Muttersprache überaus. Das Werk Jehovas in diesem Teil der Erde macht weiterhin gute Fortschritte. Es gibt viele begeisterte und befähigte Männer, die geschult werden, Verantwortung zu übernehmen. Aber auch „die Verkündigerinnen der guten Botschaft sind ein großes Heer“ (Ps. 68:11).

Jehovas Zeugen in Albanien sind ein lebender Beweis dafür, wie wahr folgende inspirierte Worte sind: „Welche Waffe es auch immer sei, die gegen dich gebildet sein wird, sie wird keinen Erfolg haben, und welche Zunge es auch immer sei, die sich im Gericht gegen dich erheben wird, du wirst sie verurteilen. Das ist der Erbbesitz der Knechte Jehovas“ (Jes. 54:17). Dank der unverdienten Güte Jehovas und seiner Kraft konnten weder totalitäre Herrschaft noch Folter, Isolation, verleumderische Berichterstattung oder persönliche Probleme ihren Geist brechen.

Jehovas Diener in Albanien vertrauen auch künftig auf Gottes loyale Liebe und seinen Segen. Ungeachtet aller Schwierigkeiten sind sie glücklich darüber, das Herz ihres himmlischen Vaters zu erfreuen, der ihnen so viel Wunderbares in Aussicht stellt (Spr. 27:11; Heb. 12:1, 2). Eines hat die theokratische Geschichte Albaniens immer wieder gezeigt: Niemals vergisst Jehova die großen oder kleinen Opfer seiner treuen Diener, ob jung oder alt (Heb. 6:10; 13:16).

[Herausgestellter Text auf Seite 130]

Der Titel wurde ursprünglich mit Die Gitarre Gottes wiedergegeben

[Herausgestellter Text auf Seite 140]

„Wärst du ein Christ, würdest du kämpfen wie die Priester“

[Herausgestellter Text auf Seite 189]

„Uns sind bloß die Predigtdienst-Berichtszettel ausgegangen“

[Kasten/Bild auf Seite 132]

Kurzinformation zu Albanien

Landesnatur:

Albanien liegt in Südosteuropa nördlich von Griechenland und östlich vom Stiefelabsatz Italiens. Es ist 28 750 Quadratkilometer groß und hat eine etwa 360 Kilometer lange Küstenlinie entlang des Adriatischen und des Ionischen Meeres. Weiße Sandstrände mit türkisblauem Wasser vor hohen Bergen zeichnen die Albanische Riviera aus, die sich von Vlorë bis Sarandë erstreckt. Den Norden und das Landesinnere prägen zerklüftete Bergketten, im Südwesten findet man dagegen fruchtbares Flachland, das landwirtschaftlich genutzt wird.

Bevölkerung:

Sie wird auf 3 600 000 geschätzt und besteht zum größten Teil aus albanischen Volkszugehörigen; außerdem gibt es Minderheiten von Roma, Griechen und Serben.

Klima:

Im Flachland der Südküste liegt die Durchschnittstemperatur im Sommer bei 26°C. Im Bergland von Dibër im Norden kann die Temperatur im Winter auf minus 25°C sinken.

Typische Kost:

Byrek sind Blätterteigtaschen, die mit Schafskäse und verschiedenen Gemüsesorten wie Spinat, Tomaten und Zwiebeln oder auch mit Fleisch gefüllt sind. Tave kosi ist gebratenes Hühner- oder Lammfleisch in einer herzhaften Joghurt-Dill-Soße. Die Albaner essen gern mit dem Löffel — es gibt oft Suppen oder Eintopfgerichte. Steht bei besonderen Anlässen Lamm auf dem Speiseplan, wird dem Ehrengast der Kopf serviert. Kadaif und Baklava (Bild rechts), Gebäck, das mit Sirup oder Honig überzogen und mit Nüssen bestreut ist, gehören zu dem reichhaltigen Angebot albanischer Süßspeisen. Brot ist für den Albaner ein Grundnahrungsmittel. Möchte jemand ausdrücken, dass er bereits gegessen hat, sagt er einfach „Hëngra bukë“, übersetzt: „Ich aß Brot.“

[Kasten/Bilder auf Seite 134]

Die ersten Kongresse

Da nur die Vorträge für die Öffentlichkeit am Sonntag in Albanisch gehalten wurden, gingen die albanischen Brüder in Neuengland (USA) sonst in die englischen oder griechischen Zusammenkünfte. In den 1920er- und 1930er-Jahren besuchten sie die griechischsprachigen Kongresse. Sie freuten sich aber über das Kongressabzeichen in ihrer Muttersprache: „Dreitägiger Kongress der albanischen Bibelforscher“.

[Bilder]

Abzeichen (rechts), das albanische Brüder Ende der 1920er-Jahre auf einem Kongress in Boston trugen

[Kasten/Bilder auf Seite 151, 152]

„Jehova hat uns nie verlassen“

FROSINA XHEKA

GEBURTSJAHR: 1926

TAUFE: 1946

KURZPORTRÄT: Sie lernte die Wahrheit bereits in ihrer Jugend kennen. Ihre Eltern stellten sich zwar gegen sie und die Behörden versuchten, sie zu isolieren. Aber Frosina fühlte sich Jehova und seiner Organisation immer nahe. Sie starb 2007 in Treue.

▪ FROSINA lernte die Wahrheit in den 1940er-Jahren durch ihre leiblichen Brüder kennen. Ihre Eltern, die keine Zeugen waren, warfen sie aus dem Haus, weil sie sich weigerte, eine arrangierte Ehe einzugehen. Ein Bruder, Gole Flloko, nahm sie auf und behandelte sie wie seine eigene Tochter.

„Einmal wurde ich verhaftet, weil ich nicht wählen ging“, berichtete Frosina. „In einem Raum umringten mich etwa 30 Beamte. Einer schrie mich an: ‚Kannst du dir vorstellen, was wir mit dir machen könnten?‘ Ich spürte, dass Jehova mir beistand, und sagte: ‚Sie können nur das tun, was der Souveräne Herr Jehova zulässt.‘ Er hielt mich für verrückt und befahl: ‚Schafft sie bloß hier raus!‘ Ich hatte also recht behalten: Jehova stand mir wirklich bei.“

1957 heiratete Frosina Luçi Xheka, mit dem sie schließlich drei Kinder hatte. Anfang der 1960er-Jahre wurde Luçi Mitglied des neu gegründeten Landeskomitees, das die Tätigkeit in Albanien beaufsichtigte. Er wurde bald darauf zu fünf Jahren internim (Internierung) in Gramsh verurteilt, weit weg von Frosina und den Kindern. Dort predigte Luçi weiter und sprach über unsere Glaubensgemeinschaft. Bei den Bewohnern von Gramsh ist er bis heute in Erinnerung geblieben.

Da sich Luçi im internim befand, setzte die Kommunistische Partei Frosina auf ihre schwarze Liste, sodass sie nicht einmal Lebensmittel kaufen konnte. Frosina sagte: „Das war gar nicht so schlimm. Die wenigen Brüder teilten, was sie hatten. Wir haben auch das überstanden, weil Jehova uns nie verlassen hat.“

Nach Luçis Tod kamen die Brüder nur noch selten zusammen. Frosina predigte jedoch weiter. Sie erzählte: „John Marks besuchte uns in den 1960er-Jahren. Als ich 1986 dann seine Frau Helen traf, hatte ich das Gefühl, wir würden uns schon jahrelang kennen. Luçi und ich hatten den Marks geheime Botschaften geschickt, die sie an die Brüder in Brooklyn weiterleiteten.“

Als das Verbot 1992 aufgehoben wurde, gehörte Frosina zu den neun getauften Zeugen, die in Albanien übrig geblieben waren. Sie besuchte regelmäßig die Zusammenkünfte und war noch an ihrem Todestag im Jahr 2007 im Predigtdienst. Kurz vor ihrem Tod sagte sie: „Ich liebe Jehova von ganzem Herzen. Meinen Glauben aufzugeben kam für mich nie infrage. Mir war schon immer bewusst, dass ich in der ganzen Welt eine große Familie habe. Und ich bin einfach sprachlos, wie groß unsere theokratische Familie in Albanien heute ist. Jehova hat uns immer beigestanden und er hält uns immer noch liebevoll bei der Hand.“

[Bild]

Frosina Xheka (2007)

[Kasten/Bilder auf Seite 159, 160]

Vom Mangel zur Fülle

VASIL GJOKA

GEBURTSJAHR: 1930

TAUFE: 1960

KURZPORTRÄT: Er stand während der totalitären Herrschaft fest für die Wahrheit ein. Heute ist er Ältester in Tirana.

▪ ICH weiß noch, wie ich in den 1930er-Jahren in meinem Heimatdorf Barmash einmal einen griechischen Wachtturm sah. Mein Vater deutete auf die Zeitschrift und sagte: „Diese Leute liegen richtig!“ Erst Jahre später verstand ich, was er damit meinte. Es war zwar gefährlich, eine Bibel zu besitzen, doch ich las sehr gern darin. Bei der Beerdigung eines entfernten Verwandten lernte ich einen Bruder aus Tirana kennen. Ich löcherte ihn mit Fragen über das Zeichen der „letzten Tage“ in Matthäus, Kapitel 24. Er erklärte es mir, und von Stund an erzählte ich jedem, bei dem es angebracht war, von meinen neuen Erkenntnissen.

1959 kam ich bei Leonidha Pope mit anderen Brüdern zusammen. Ich hatte die Offenbarung durchgelesen und wollte wissen, was mit dem „wilden Tier“ und mit „Babylon der Großen“ gemeint sei. Die Erklärung überzeugte mich, dass ich die Wahrheit gefunden hatte. Ein Jahr später ließ ich mich taufen.

Mein eifriges Predigen führte dazu, dass ich meine Arbeit verlor. Daraufhin besorgte ich mir einen klapprigen hölzernen Karren, mit dem ich in Tirana Waren auslieferte. Obwohl ich wenig Kontakt mit den Brüdern und keine Literatur hatte, predigte ich weiter.

Anfang der 1960er-Jahre erhielt Leonidha Pope einige griechische Veröffentlichungen, die nach Albanien hineingeschmuggelt worden waren. Noch bevor er ins internim kam, diktierte er mir die Übersetzung, die ich in einem Notizbuch festhielt. Dann beauftragte er mich, die Texte abzuschreiben und an Brüder in Berat, Fier und Vlorë zu schicken.

Wie viel sich doch seit den 1990er-Jahren geändert hat! Es ist begeisternd, was für eine Fülle an Literatur Jehova uns gibt. Seit 1992 haben wir über 17 Millionen Zeitschriften in Albanisch abgegeben. Alle neuen Publikationen werden ins Albanische übersetzt und wir verfügen über die gesamte Neue-Welt-Übersetzung in unserer Sprache. Wenn ich nach so vielen Jahren ohne Literatur diese Fülle sehe, kommen mir Freudentränen. Nach der langen Zeit des Mangels ist unsere Dankbarkeit heute umso größer.

[Kasten/Bilder auf Seite 163, 164]

Die beste Arbeit bekam ich in der Heimat

ARDIAN TUTRA

GEBURTSJAHR: 1969

TAUFE: 1992

KURZPORTRÄT: Er lernte die Wahrheit in Italien kennen und ging nach Albanien zurück. Heute gehört er zum albanischen Zweigkomitee.

▪ ICH war 21, als ich 1991 mit Tausenden Flüchtlingen Albanien verließ. Wir hatten ein Schiff gekapert und wollten nach Italien. In unserem Heimatland herrschte bittere Armut und ich war froh, wegzukommen. Für mich ging ein Traum in Erfüllung.

Nach zwei Tagen in Brindisi (Italien) schlich ich mich aus dem Flüchtlingslager, um Arbeit zu suchen. Ein Mann gab mir eine kurze fotokopierte biblische Botschaft in Albanisch und lud mich zu einer Zusammenkunft am Nachmittag ein. Ich dachte sofort: „Warum denn nicht? Vielleicht gibt mir jemand eine Arbeit.“

Mit einem derart herzlichen Empfang hatte ich nicht gerechnet. Nach der Zusammenkunft im Königreichssaal kamen alle zu mir und jeder war freundlich und nett. Eine Familie lud mich zum Essen ein. Wie zuvorkommend und respektvoll sie mich doch behandelten, mich, einen ungepflegten albanischen Flüchtling, der sich illegal im Land aufhielt!

Bei der nächsten Zusammenkunft bot mir Vito Mastrorosa ein Bibelstudium an. Ich war einverstanden und erkannte recht bald: Das ist die Wahrheit. Im August 1992 ließ ich mich in Italien taufen.

Schließlich klappte es auch mit einer Aufenthaltsgenehmigung. Ich bekam eine gute Arbeit und konnte meiner Familie in Albanien Geld schicken. Doch dann begann ich zu überlegen: „Das Werk in Albanien ist jetzt frei, und es werden dringend Verkündiger benötigt. Sollte ich zurückgehen und mich dort einsetzen? Aber was wird meine Familie davon halten? Sie braucht das Geld. Und was werden die Leute sagen?“

Dann erhielt ich einen Anruf aus unserem Büro in Tirana. Man fragte mich, ob ich bereit sei, dort einer Gruppe italienischer Sonderpioniere, die im November nach Albanien kommen würden, Albanisch beizubringen. Ihr Beispiel stimmte mich nachdenklich. Sie freuten sich, in ein Gebiet zu gehen, das ich verlassen hatte. Und dazu waren sie bereit, obwohl sie die Sprache nicht beherrschten. Ich dagegen war mit der albanischen Sprache und Kultur bestens vertraut. Was hielt mich also in Italien?

Meine Entscheidung war gefallen. Mit den Sonderpionieren bestieg ich die Fähre. In dem kleinen Bethel ging es sofort an die Arbeit. Vormittags gab ich Albanischunterricht und nachmittags unterstützte ich die Übersetzungsabteilung. Meine Angehörigen waren zunächst überhaupt nicht glücklich darüber. Doch als sie verstanden, warum ich nach Albanien zurückgekehrt war, hatten sie auch ein offenes Ohr für die gute Botschaft. Es dauerte nicht lange, bis sich meine Eltern, zwei meiner Schwestern und einer meiner Brüder taufen ließen.

Habe ich es je bereut, die Arbeit in Italien aufgegeben und auf das Geld verzichtet zu haben? Nicht e i n e n Augenblick! In Albanien bekam ich die beste Arbeit. Für mich gibt es nichts Wichtigeres, als Jehova alles zu geben, was ich kann. Das macht immer Freude.

[Bild]

Ardian mit seiner Frau Noadia

[Kasten/Bilder auf Seite 173, 174]

Vorbei mit geheimen Zusammenkünften!

ADRIANA MAHMUTAJ

GEBURTSJAHR: 1971

TAUFE: 1993

KURZPORTRÄT: Sie wurde noch zu einer geheimen Zusammenkunft eingeladen; bald danach wurde alles anders. Gegenwärtig ist sie Sonderpionierin.

▪ ALS mein Cousin 1991 starb, bekam ich zufällig mit, wie eine Frau namens Barie meine Tante mit Gedanken aus der Bibel tröstete. Ich stellte ihr sofort Fragen, worauf sie mich mit ihrer Arbeitskollegin Rajmonda bekannt machte. Ihre ganze Familie besuchte die „Klasse“. Wie Rajmonda mir erklärte, müsste ich erst einmal mit biblischen Gesprächen vorliebnehmen, weil Neue nicht sofort in die „Klasse“ aufgenommen wurden. Das, was ich lernte, gefiel mir sehr und ich durfte mich ihr bald anschließen.

Diese „Klasse“ setzte sich aus ungetauften Personen zusammen, die sich ursprünglich bei Sotir Papa und Sulo Hasani versammelt hatten. Bereits vor Jahren hatte die Sigurimi diese „Klassen“ unterwandert und die Brüder verhaften lassen. Deshalb waren alle sehr vorsichtig, auch wenn es darum ging, wen sie zu den Zusammenkünften einluden.

Bei meiner ersten Zusammenkunft wurde empfohlen, eine Liste unserer Freunde zu machen und ihnen zu erzählen, was wir lernten. Unverzüglich berichtete ich Ilma Tani davon. Sie wurde schon bald in die „Klasse“ eingeladen. Unsere kleine Gruppe von 15 Personen bekam schnell Zuwachs.

Im April 1992 besuchten uns Michael und Linda DiGregorio in Berat. Wir wurden ermuntert, ganz offen zu seinem Vortrag einzuladen. Daraufhin kamen 54 Personen. Niemand von uns Einheimischen war getauft. Nach der Zusammenkunft bombardierten wir die DiGregorios stundenlang mit Fragen. Endlich wurde uns klar, wie unsere Gruppe organisiert werden sollte.

Bald darauf wurden Jehovas Zeugen rechtlich anerkannt. Ilma, zwei Brüder und ich gingen nach Tirana, um uns in den Haus-zu-Haus-Dienst einführen zu lassen. Man bat uns, den anderen in Berat zu zeigen, was wir gelernt hatten. Wir taten unser Bestes. Im März 1993 kamen 4 italienische Sonderpioniere zu uns. Das brachte unsere Versammlung richtig in Schwung. Und zu den beiden wöchentlichen Zusammenkünften durfte jedermann kommen!

Ilma und ich ließen uns auf dem ersten Tagessonderkongress taufen, der ebenfalls im März in Tirana stattfand. 585 Personen waren anwesend. Wir nahmen den allgemeinen Pionierdienst auf und wurden bald eingeladen, die ersten einheimischen Sonderpioniere zu werden. Nichts musste mehr heimlich geschehen. Man schickte uns nach Korçë.

Später heiratete Ilma Bruder Arben Lubonja, der vor unserer Ankunft einige Monate ganz allein in Korçë gepredigt hatte. Sie standen dann im Kreisdienst und sind heute im Bethel. Wie froh ich bin, Ilma damals in die „Klasse“ eingeladen zu haben!

Als ich auf unserem letzten Bezirkskongress inmitten von 5 500 Anwesenden saß, dachte ich an unsere geheime „Klasse“ zurück. Was für Veränderungen Jehova doch bewirkt hat! Unsere Zusammenkünfte und Kongresse stehen heute jedem offen. Und wie sieht es in Berat aus? Obwohl viele Brüder aus wirtschaftlichen Gründen wegziehen mussten, sind aus unserer kleinen „Klasse“ inzwischen 5 eifrige Versammlungen geworden.

[Bild]

Ilma (Tani) und Arben Lubonja

[Kasten/Bild auf Seite 183]

„Okay, gehen wir!“

ALTIN HOXHA UND ADRIAN SHKËMBI

GEBURTSJAHR: Beide 1973

TAUFE: Beide 1993

KURZPORTRÄT: Sie gaben ihr Universitätsstudium für den Pionierdienst auf. Heute dienen sie als Älteste.

▪ ANFANG 1993 studierten die beiden in Tirana. Ein Freund sprach mit ihnen stundenlang über das, was Zeugen Jehovas ihm vermittelten. Alles war auf die Bibel gestützt. Später erfuhren sie mehr, setzten das Gelernte um und ließen sich noch im selben Jahr taufen. Im Sommer predigten sie in Kuçovë, wo es keine Verkündiger gab.

Wieder in Tirana, sagte Adrian zu Altin: „Was sollen wir noch auf der Uni? Machen wir uns doch lieber in Kuçovë an die Arbeit!“

Darauf Altin: „Okay, gehen wir!“ Sieben Monate nach ihrer Taufe waren sie wieder in Kuçovë.

Jehova hat ihren Einsatz reich belohnt. Jetzt gibt es in Kuçovë mehr als 90 Verkündiger. Ungefähr 25 Zeugen aus dieser Versammlung sind anderswo Pioniere oder im Bethel. Adrian und Altin haben mit vielen von ihnen studiert.

Auf die Universität angesprochen, sagt Altin lächelnd: „Der Apostel Paulus entschied sich gegen eine weltliche Karriere, und etwas Vergleichbares habe ich 1993 getan. Meine Worte ‚Okay, gehen wir!‘  habe ich nie bereut.“

[Kasten/Bilder auf Seite 191, 192]

Ein Verfechter des Atheismus lehrt heute die Wahrheit

ANASTAS RUVINA

GEBURTSJAHR: 1942

TAUFE: 1997

KURZPORTRÄT: Er vermittelte beim Militär Untergebenen atheistisches Gedankengut, bevor er durch seine Kinder die Wahrheit kennenlernte. Heute ist er Ältester und Sonderpionier.

▪ NACH dem Abschluss der Militärakademie (1971) wurde ich zum politischen Brigadekommissar ernannt. Titel wie dieser wurden verwendet, nachdem die Regierung 1966 alle militärischen Ränge abgeschafft hatte. Es gehörte zu meinen Aufgaben, Soldaten von der Ideologie zu überzeugen, dass es keinen Gott gibt. Dabei ließ ich mich gern darüber aus, Religion sei das Opium des Volkes.

Ich war verheiratet und hatte drei Kinder. Ab 1992 besuchte mein Sohn Artan die Zusammenkünfte der Zeugen Jehovas in Tirana. Irgendwann nahm er auch seine Schwester Anila mit. Ich hielt das für reine Zeitverschwendung und die größte Dummheit. Immer wieder kam es deshalb zum Streit.

Eines Tages blätterte ich aus Neugier einen Wachtturm durch. Erstaunlicherweise klang alles darin ganz vernünftig. Artan und Anila ermunterten mich zwar immer wieder, die Bibel kennenzulernen, doch das kam für mich nicht infrage. Wie kann ich die Bibel studieren, wenn ich nicht einmal an Gott glaube, dachte ich bei mir. 1995 kam das Buch Das Leben — Wie ist es entstanden? Durch Evolution oder durch Schöpfung? in Albanisch heraus. Meine Kinder gaben mir ein Exemplar. Mehr war nicht nötig, um mich zu überzeugen. Gott existiert! Für mich gab es nun keine Entschuldigung mehr. Bald schloss sich auch meine Frau Lirie dem Studium an und wir machten uns mit der Wahrheit vertraut.

Ich muss ehrlich zugeben, dass mein Fortschritt Zeit kostete. Im Alter von 53 Jahren war es für mich nicht leicht, meine politisch und militärisch geprägte Denkweise abzulegen. Meinen Fortschritt verdanke ich vor allem dem Schöpfer, Jehova.

Verkündiger wollte ich aber nicht werden, weil ich fürchtete, im Dienst vor denselben Leuten zu stehen, denen ich den Atheismus gelehrt hatte. Wie würde ich dastehen? Eines Tages las mir Vito Mastrorosa den Bericht über Saulus von Tarsus vor. Damit traf er genau meinen Nerv. Saulus verfolgte die Christen, lernte die Wahrheit kennen und predigte dann. Mit der Hilfe Jehovas konnte ich das bestimmt auch.

Manchmal muss ich allerdings über mich selbst schmunzeln, wenn ich merke, wie mir Jehova hilft, nicht so streng zu sein, vernünftiger zu werden und weniger herumzukommandieren. Irgendwann schaffe ich das auch noch.

Mit meinen Kindern streite ich mich natürlich nicht mehr über die Wahrheit. Ich bin sogar stolz auf sie. Artan ist Sonderpionier und Ältester. Meine Töchter Anila und Eliona sind beide im Bethel in Tirana.

Lirie und ich stehen im Sonderpionierdienst. Wir fühlen uns sehr geehrt, den Menschen die Wahrheit über unseren großen Schöpfer näherbringen zu dürfen und die Veränderungen in ihrem Leben zu beobachten. Welch eine Freude ist es doch, eine echte Hoffnung vermitteln zu können, die sich auf die Verheißungen des allein wahren und lebendigen Gottes, Jehova, stützt.

[Bild]

Von links nach rechts: Artan, Anila, Lirie, Anastas, Eliona und ihr Mann Rinaldo Galli

[Übersicht auf Seite 176, 177]

Albanien — WICHTIGE ETAPPEN

1920—1922 Albaner lernen in den USA die Wahrheit kennen.

1922 Thanas Idrizi bringt die Wahrheit nach Gjirokastër.

1925 Es gibt drei kleine Bibelstudienklassen im Land.

1928 In vielen Städten wird das „Photo-Drama der Schöpfung“ gezeigt.

1930

1935/36 Umfangreiche Predigtaktion.

1939 Jehovas Zeugen werden verboten.

1940

1940 Neun Brüder wegen der Neutralitätsfrage eingesperrt.

1946 Beginn der kommunistischen Herrschaft.

1950

1960

1960 Ein Landeskomitee beaufsichtigt die Tätigkeit.

1962 Mitglieder des Komitees im Arbeitslager.

1967 Albanien wird ein atheistischer Staat.

1980

1990

1992 Jehovas Zeugen gesetzlich anerkannt.

1996 Milton Henschel bei der Einweihung des Bethels.

1997 Zeit der trazira.

2000

2005 Vollständige Neue-Welt-Übersetzung in Albanisch.

2006 Zweigbüro in Mëzez (Tirana) eingeweiht.

2010

[Übersicht]

(Siehe gedruckte Ausgabe)

Verkündiger

Pioniere

4 000

3 000

2 000

1 000

1930 1940 1950 1960 1980 1990 2000 2010

[Karten auf Seite 133]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

MONTENEGRO

KOSOVO

MAZEDONIEN

GRIECHENLAND

Ioannina

Skutarisee

Ohridsee

Prespasee

ADRIATISCHES MEER

ALBANIEN

TIRANA

Shkodër

Kukës

Burrel

Mëzez

Durrës

Kavajë

Gramsh

Kuçovë

Fier

Berat

Korçë

Vlorë

Tepelenë

Këlcyrë

Barmash

Përmet

Gjirokastër

Sarandë

[Ganzseitiges Bild auf Seite 126]

[Bild auf Seite 128]

Thanas Idrizi lernte die Wahrheit in Neuengland kennen und brachte die gute Botschaft nach Gjirokastër

[Bild auf Seite 129]

Sokrat Duli half seinem Bruder, die Wahrheit kennenzulernen

[Bild auf Seite 137]

Nicholas Christo sprach mit prominenten Albanern über die gute Botschaft

[Bild auf Seite 142]

Der zweiseitige Brief, den albanische Brüder in Boston an Enver Hoxha schrieben

[Bild auf Seite 145]

Leonidha Pope

[Bild auf Seite 147]

„Jehova hat mich gelehrt, nichts zu unterschreiben, was ich nicht gesagt habe“ (Sotir Ceqi)

[Bild auf Seite 149]

John Marks und seine Frau Helen einige Zeit vor seiner Reise nach Albanien

[Bild auf Seite 154]

Spiro Vruho diente als reisender Aufseher

[Bild auf Seite 157]

Llopi Bllani

[Bild auf Seite 158]

Kulla Gjidhari feierte auch ganz allein das Gedächtnismahl

[Bild auf Seite 167]

Michael und Linda DiGregorio

[Bild auf Seite 172]

Die Verfügung Nr. 100, mit der Jehovas Zeugen die rechtliche Anerkennung gewährt wurde

[Bild auf Seite 175]

Zusammenkunft im ersten Königreichssaal in Tirana (1992)

[Bild auf Seite 178]

Areti Pina predigte allein treu weiter

[Bilder auf Seite 184]

In einer alten Villa entstanden moderne Büros

[Bild auf Seite 186]

„Macht euch keine Sorgen, wenn ihr ins Gefängnis müsst“ (Nasho Dori)

[Bilder auf Seite 194]

David Splane stellt die vollständige „Neue-Welt-Übersetzung“ in Albanisch vor

[Bild auf Seite 197]

Missionare in Albanien

[Bilder auf Seite 199]

Zweigbüro Albanien

Das Zweigkomitee: Artan Duka, Ardian Tutra, Michael DiGregorio, Davide Appignanesi, Stefano Anatrelli